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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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geraume Weile, und endlich spürte er etwas Hartes. Ja, das musste der Verursacher allen Übels sein! »Ich glaube, ich habe den Stein!«
    Jetzt galt es, ihn so mit den Fingerkuppen zu dirigieren, dass er nach außen gegen das Mittelfleisch gedrückt wurde. Auch das gelang ihm nach einer Weile. »Der Stein muss eine kapitale Größe haben.«
    Der Magister fragte: »Willst du jetzt das Lithotomon?«
    »Ja.« Ohne den Blick von der Operationsstelle zu nehmen, hielt Vitus die rechte Hand nach hinten, in die der Magister prompt das Instrument legte. Das Lithotomon war ein Werkzeug, welches zwei Instrumente in sich vereinte. Es war auf der einen Seite chirurgisches Messer und auf der anderen ein Haken. Bei Eingriffen wie diesem hatte es sich immer wieder bewährt, weil der Operateur mehrfach schneiden und mehrfach das geteilte Fleisch spreizen musste, ein Vorgang, bei dem er jeweils das Instrument nur umzudrehen brauchte. Vitus setzte das Messer an und führte einige Male probehalber einen schrägen Schnitt aus.
    Der Magister fragte: »Warum machst du keinen geraden Schnitt – direkt vom Skrotum zum Anus?«
    »Wenn ich diagonal ansetze, kann der Einschnitt länger werden, und die Öffnung wird dadurch größer.« Vitus begann zu schneiden. Stout, halb bewusstlos, bäumte sich auf, wurde aber von Gerald, Ó Moghráin und dem Magister eisern festgehalten. Vitus, dessen linke Finger noch immer tief im Anus steckten, wo sie den Stein nach außen drückten, schnitt tiefer. Er hatte bereits die Haut durchtrennt und zerteilte jetzt das darunter befindliche Gewebe. Ab und zu drehte er das Instrument und zog mit dem Haken die Ränder der Wunde auseinander, um festzustellen, wie tief er bereits vorgedrungen war. Endlich hatte er die Blasenwand vor sich. Mit einem entschlossenen Schnitt durchtrennte er sie. Sowie das Organ offen war, schoss Harn hervor und spritzte ihm über die Arme. Er achtete nicht darauf. Wieder wendete er das Lithotomon, um die Wunde zu spreizen. Er starrte angestrengt, doch von dem Stein war nichts zu sehen. Ein vorsichtiger, erweiternder Schnitt; der Haken trat neuerlich in Aktion. »Da! Das muss er sein!«
    Rasch drückte er mit der Linken den Stein durch die geschaffene Öffnung heraus; er fiel klirrend in die bereitstehende Schüssel. »Das wär’s!«
    Der kleine Gelehrte staunte. »Ganz schöner Kaventsmann, hat mindestens die Größe einer Saubohne!«
    »Wir wollen ihn aufheben, vielleicht möchte der Kapitän ihn sich in Spiritus einlegen lassen. Sir, könnt Ihr mich hören … Sir?«
    Stout nickte kraftlos. Er war noch nicht ganz bei Sinnen.
    »Sir, ich gratuliere Euch. Ihr habt es überstanden.«
    Abermals nickte Stout, doch war nicht klar, ob er die ganze Tragweite der Mitteilung verstanden hatte.
    Gerald meldete sich von oben: »Ich denke, auch Euch muss man gratulieren, Cirurgicus! Wie lange muss ich den, äh … Hodensack noch hochhalten? Mein Arm schläft langsam ein, und ich …«
    »Nur noch einen Augenblick, Mister Gerald.«
    Vitus wandte sich an den Magister. »Hast du die frischen Leinenstreifen zur Hand?«
    »Natürlich, großer Cirurgicus.«
    »Danke.« Vitus studierte die Wunde. Wieder einmal faszinierte es ihn, wie schnell das Blut an manchen Körperstellen zu gerinnen begann. Auch hier war es so. Nur noch wenige Tropfen des roten Lebenssaftes sickerten hervor. Er tupfte sie fort. Dann legte er den Verband an, und zwar dergestalt, dass die Wundränder einander überlappten. Nachdem die Arbeit getan war, richtete er sich mühsam auf. »Mister Gerald, jetzt könnt Ihr loslassen.«
    Aufatmend zog der Erste seine Hand zurück.
    Vitus klopfte mit der flachen Hand gegen Stouts Wange. »Sir, könnt Ihr mich hören?«
    »Ja, Cirurgicus, ja!«, krächzte der Geizhals. Seine Stimme wirkte noch benebelt.
    »Schön. Also höret: Ich habe Euch soeben einen Verband angelegt, der mindestens zwei Tage draufbleiben muss. So lange dürft Ihr die Beine auf keinen Fall spreizen. Am besten, Ihr verbringt die Zeit liegend. Nehmt nur leichte Kost zu Euch, möglichst Nahrung, die keine Flüssigkeit enthält und keine Blähungen verursacht. Trinkt wenig, am besten gar nichts.«
    »Jawohl, Cirurgicus. An welche Nahrung hattet Ihr gedacht?«
    »Nun«, Vitus überlegte, »nehmt Schiffszwieback zu Euch oder Hartbrot. Beides dürft Ihr in Wein tunken, damit es besser hinunterzuschlucken ist. Die Speise ist nicht gerade das, was man einem Genesenden wünscht, aber Ihr werdet, bedingt durch die Nachwirkungen des

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