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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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wir’s zeigen!«
    Jawy dachte daran, dass er und seine Männer im vergangenen Jahr nicht eben vom Glück begünstigt gewesen waren, als es darum ging, spanische Schatzgaleonen aufzuspüren und auszurauben. Dazu kam, dass sie um Neujahr herum das Pech gehabt hatten, in einen fulminanten Sturm zu geraten, der sie Hunderte von Seemeilen von den Antillischen Inseln fortgeblasen hatte – nach Osten, hinaus aufs offene Meer.
    Ein Erfolg musste dringend her, und wenn es nur ein kleiner war. Schon allein, um Stänkerer wie Smith und Evans auf Abstand zu halten. Bisher war ihm das noch immer gelungen, mit mehr oder weniger drakonischen Maßnahmen, aber viele Hunde sind des Hasen Tod, und irgendwann nützten einem auch die besten Waffen nichts mehr. Ein erfolgloser Anführer war so gut wie ein toter Anführer. Die Männer waren immer gleich – und wie die Geier. Beim Blute des Gehörnten! Den Segler dahinten, den würde er ihnen zum Fraß vorwerfen!
    Langsam kletterte Jawy zurück an Deck, blickte seine Kumpane an und sagte: »Der verfluchte Pfeffersack soll des Piraten Segen erhalten.«
    Dann tat er etwas, wofür er in der gesamten Karibik bekannt war: Er schob die Kinnlade vor und renkte mit einem hörbaren Knacken seinen Unterkiefer aus. Seine Männer stießen sich grinsend an und freuten sich auf das, was kommen würde.
    Jawy begann, mittels Knochenreibung eine Melodie zu erzeugen; es war eine eingängige, kraftvolle Folge von fünf oder sechs Tönen, die von jedem seiner Männer inbrünstig mitgesungen wurde. Denn es war ihr Lied:
    »Pirate’s blessing
    is striking,
    is burning,
    … is ago-ni-zing!
     
    Pirate’s blessing
    is hunting,
    is robbing,
    … is vio-la-ting!
     
    Pirate’s blessing
    is slitting,
    is killing,
    … is maha-ssa-cring!«
    Als sie geendet hatten, renkte Jawy seinen Unterkiefer wieder ein. »Die
Torment of Hell
wird ihrem Namen alle Ehre machen und den Pfeffersäcken eine Höllenpein bescheren.« Dann ballte er die Faust:
    »Klar Schiff zum Gefecht!«
     
    »Der Kanarenstrom hat uns die letzten Tage recht brav nach Süden getragen, Mister Ó Moghráin, wann heute Morgen habt Ihr neuen Kurs festgesetzt und Ruder legen lassen?«
    Stout stand mit dem Steuermann auf dem Backsdeck und kniff die Augen zusammen. Das Meer zeigte sich an diesem Tag von seiner kabbeligen Seite – unregelmäßig durcheinanderlaufende, kurze Seen infolge der sich ändernden Strömungsrichtung bestimmten die Wasseroberfläche.
    »Bei zwei Glasen, Sir, wir folgen dem Strom und steuern direkten Westkurs.«
    »Schön.« Stout kniff weiter die Augen zusammen. »Und warum meldet mir niemand, dass Steuerbord voraus ein Segel an der Kimm steht?«
    »Verzeihung, Sir. Der Ausguck im Fockmast ist nicht besetzt.« Das allerdings war dem Geizhals bekannt. Die Unterzahl der Besatzung ließ eine solche Maßnahme nicht zu. »Scheint so, als wäre ich der Einzige an Bord, der Augen im Kopf hat«, brummte er ungnädig.
    »Aye, Sir.«
    »Powell soll einen Mann den Hauptmast hochjagen, aber bis rauf zur Saling, wenn ich bitten darf.«
    Kurze Zeit später war der Mann oben und meldete: »Drei- oder viermastige Galeone, Sir. Nimmt Kurs auf uns!«
    »Welche Nationalität?«, preite Stout hoch.
    »Engländer, Sir.«
    Stout grunzte. »Schön, ein Engländer. Wenn er direkt auf uns zuhält, soll’s mir recht sein. Vielleicht kann sein Kapitän mir mit ein paar brauchbaren Hinweisen über die allgemeine Preisentwicklung in der Neuen Welt dienlich sein.«
    Die Segel des Fremden waren mittlerweile näher gekommen, der Rumpf allerdings lag noch unter dem Horizont.
    »Sir«, hob Ó Moghráin an, »mit allem Respekt, aber ich denke, Vorsicht ist geboten. Der Unbekannte könnte auch …«
    »Der Unbekannte ist ein Engländer!«, unterbrach Stout barsch. »Ihr hörtet es eben selbst. Aber ich will versuchen, Eure Ängste zu besänftigen.« Er legte die Hände vor den Mund und brüllte nach oben: »Kannst du die Bauart schon erkennen?«
    »Nein, Sir, doch, nein, ich glaube …«
    »Was denn nun, bei allen Krakenarmen!«
    »Englische Bauart, Sir!«
    »Da haben wir’s. Ein Schiff englischer Bauart unter englischer Flagge, Mister Ó Moghráin. Seid Ihr nun beruhigt?«
    »Äh … jawohl, Sir.«
    Stout grunzte und lenkte seine Gedanken in angenehmere Bahnen. Die zwei neuen Schinken, die er für teures Geld in Funchal erstanden hatte, kamen ihm in den Sinn. Es war eine unerhörte Ausgabe gewesen, und er hatte sie nur deshalb getätigt, weil zwei Schinken

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