Der Chirurg von Campodios
standen, weiteren zwölf Sakers auf dem Hauptdeck und nicht zuletzt sechs Drehbassen, verteilt über die gesamte Länge des Schanzkleids.
Die
Vigilance
war anno 1570 unter dem Jubel der Bevölkerung vom Stapel gelaufen und in jeder Beziehung ein großartiges Schiff.
Wenn auch eines mit gewaltigem Makel.
Denn die
Vigilance
hieß mittlerweile
Torment of Hell
, und die englische Fahne mit dem roten Kreuz auf weißem Grund, die einst stolz über ihren Masten auswehte, war längst verschwunden. Stattdessen führte sie die Piratenflagge, ein schwarzes Tuch, das zwei weiße gekreuzte Knochen zeigte, dazu den üblichen Totenschädel, der in diesem Fall aber nur aus einem Fragment bestand: einem riesigen Unterkiefer mit gebleckten Schneidezähnen.
Der Mann, der diese Flagge führte, stand breitbeinig auf dem Hauptdeck inmitten seiner Kumpane und blickte sich Ruhe gebietend um. Wer ihn nicht kannte, wusste spätestens jetzt, warum seine Fahne so ungewöhnlich aussah, denn er hatte den Unterkiefer eines Nussknackers – breit, knochig, alles zermalmend.
Er war groß und wuchtig gewachsen, und er bot einen Furcht einflößenden, waffenstarrenden Anblick. Der Degen, den er in einem goldblitzenden Gehänge trug, wurde auf der anderen Körperseite durch ein rasiermesserscharfes Rapier ergänzt; außerdem führte er, unübersehbar vorn in den Gürtel gesteckt, zwei Schnapphahnpistolen und einen Damaszenerdolch mit sich. Nur die wenigsten wussten, dass sein Arsenal damit noch lange nicht erschöpft war, denn in seinen Stiefeln steckte jeweils ein nadelspitzes Stilett und im Nacken, verborgen unter Wams und Hemd, ein Messer für den äußersten Notfall.
Wer John »Jawy« Cutter besiegen wollte, musste jede dieser Waffen einzeln überwinden, und das war bislang noch niemandem gelungen – eine Tatsache, der Jawy es verdankte, noch immer der Anführer und Kapitän auf diesem Schiff zu sein.
Er zog den Dolch aus dem Gürtel und lächelte maliziös, während zwei seiner Männer einen ihrer Kumpane packten und ihn zum Hauptmast zerrten. »Du hast mich bestohlen, Hewitt«, sagte er liebenswürdig. Es klang, als würde er einer schönen Frau ein Kompliment machen.
Hewitt, ein junger, kaum dem Knabenalter entwachsener Mann von zarter Gestalt, bäumte sich auf, wurde aber brutal an den Armen zurückgerissen. »Nein, Jawy, nein! Ich hab dir nichts gestohlen. Bei meiner armen Seele, glaub mir doch, ich war’s nicht!«
Jawy nickte. Natürlich warst du’s nicht, du kleiner Hosenscheißer, dachte er. Ich weiß genau, dass Smith und Evans, die beiden, die dich da so eifrig festhalten, mir die Diamanten aus der Kajüte geklaut haben. Das Dumme ist nur, dass sie nicht ohne Einfluss an Bord sind und gegen mich intrigieren, weshalb ich es vorziehe, dich zu bestrafen. Wie heißt es doch so schön? Beginne einen Kampf nie, bevor du sicher bist, ihn zu gewinnen. Und mit Smith und Evans bin ich noch nicht so weit. Ein paar Informationen hier, ein paar Drohungen da, und ich werde es ihnen beweisen können. Und dann reiße ich ihnen die Haut bei lebendigem Leibe ab. Bis dahin aber muss ein anderer dran glauben, sonst kommen die Männer auf dumme Gedanken. Tut mir Leid, Hosenscheißer, ich habe mich für dich entschieden.
Laut sagte er: »Du hast mir die Diamanten gestohlen, Hewitt. Gestern Nacht war’s. Du bist in meine Kajüte rein, während ich an Deck war, und hast sie dir geschnappt. Smith und Evans haben dich dabei gesehen, stimmt’s, Jungs?«
Die beiden Diebe schluckten überrascht. »Äh … ja, Jawy, genauso war’s. Jaja!«
»Na bitte. Und du weißt ja, Hewitt, was wir mit Leuten wie dir machen.« Jawys Blick wurde seelenlos. »Los, Smith, drück dem Schweinehund von einem Dieb das rechte Handgelenk an den Mast.«
Smith gehorchte, wenn auch unter Schwierigkeiten, denn Hewitt wehrte sich verzweifelt. Immer wieder rief er: »Ich war’s nicht, Jawy! Bei meiner armen Seele, ich war’s nicht! Durchsuch mich doch, guck in meine Koje, guck überall nach, ich hab deine Diamanten nicht!«
Jawy blickte seine Männer an, und seine Kinnladen begannen zu mahlen. »Glaubt etwa einer das, was der Schweinehund von einem Dieb da behauptet?«
Und während ihm ein vielstimmiges Nein entgegenscholl, schritt Jawy mit hoch erhobenem Dolch zum Mast.
In Hewitts Augen trat blankes Entsetzen.
Dann stach Jawy zu, begleitet von einem lustvollen Aufstöhnen seiner Männer. Der Dolch bohrte sich mitten durch die Diebeshand und nagelte sie am Großmast
Weitere Kostenlose Bücher