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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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dem Hinterkopf hart auf die Decksplanken schlug.
     
    John »Jawy« Cutter hatte den Ausfall des wie ein Berserker fechtenden blonden Mannes mit Genugtuung verfolgt, zumal danach, wie auf ein Zeichen, die Kämpfe auf dem gesamten Schiff erstarben. Der Widerstand war weit stärker als erwartet gewesen.
    Jetzt atmete der Mann mit dem kantigen Unterkiefer tief durch. »Gafft nicht herum! Ab in die Laderäume mit euch, sucht nach weiteren Kisten und Truhen!«, schrie er seinen Männern zu.
    Die Piraten schwärmten aus. Kisten und Truhen waren immer etwas Verheißungsvolles, besonders im verschlossenen Zustand. Dann bargen sie meistens Gold … »Gold! Gold! Gold!« Jawy trat an den blonden Burschen heran. Der Kerl hatte ihn mehrere seiner besten Männer gekostet. Dabei war er nicht viel mehr als mittelgroß, allerdings schlank und muskulös.
    Und er war so gut wie tot.
    Hass blitzte in Jawys Augen auf, als er den leblos Daliegenden packte, hochriss und durchschüttelte wie einen jungen Hund. Nur langsam kam der Blonde zu sich. Seine Augenlider zuckten ein paar Mal. Schließlich schien er halbwegs bei Bewusstsein.
    Jawy schnappte: »Ich bin Jawy. Und bevor du stirbst, darfst du noch ein Lied hören.« Mit einem dumpfen Knacken rastete er seinen Unterkiefer aus und rieb genussvoll die Knochen aneinander.
    »Pirate’s blessing
    is slitting,
    is killing,
    … is maha-ssa-cring!«
    Dann holte er mit dem Degen aus.

Die »Dame« Phoebe
    »Tu so, als gäb’s dich nich, Phyllis, du bist garnich da, Phyllis, garnich da biste, verstehste, oh, Allmächtiger, nich auch noch mein Schmuckkästchen! Mein schönes Schmuckkästchen! Oh, ihr Diebespack, Pest un Aussatz über euch, die Krätze sollt ihr kriegen, die Schwänze solln euch abfaulen! Oh, oh, oh …«
     
    D ie beiden Straßenmädchen waren von dem Überfall auf die
Gallant
völlig überrascht worden. Sie hatten in ihrer Kabine gesessen, und Phoebe hatte versucht, die wenigen Lese- und Schreibkenntnisse, die sie besaß, an Phyllis weiterzugeben. »Wennde drüben inner Neuen Welt ’nen Freier fürs Leben auftun willst, musste das können«, hatte sie gesagt. »Wenigstens deinen Namen musste können, damitde bei der Hochzeit unterschreiben kannst.«
    »Ja, ja, unterschreiben«, hatte Phyllis geantwortet.
    »Und wennde das kannst, dann kannste auch … Bei den Knochen meiner Mutter, was is’n das für’n Getöse un Gebrüll da?« Phoebe war aufgesprungen, denn draußen hatte ein Höllenspektakel eingesetzt. »Ich glaub, mich laust der Affe!«
    Sie war zur Kabinentür geeilt, die im selben Augenblick aufgestoßen wurde. Ein baumlanger Pirat hatte darin gestanden, sie hämisch angegrinst und dann wie einen nassen Sack zur Seite geschleudert.
    »Autsch! Was soll das, du verfluchter Hurensohn!«
    Der Halunke hatte nur gelacht, genauso wie das andere Mordgesindel, das hinter ihm hereingestürmt war.
    Fast ohnmächtig vor Wut und Angst, hatten die Mädchen mit ansehen müssen, wie ihr gesamter, nicht ohne Mühe erworbener Besitz, verstaut in Truhen und Kisten, Koffern und Taschen, aus der Kabine geschleppt wurde, während draußen unter dem infernalischen Gebrüll der Piraten die Männer der
Gallant
einer nach dem anderen niedergemetzelt wurden.
    »Großer Gott!«, hatte Phoebe, die mit ihrer Freundin in die hinterste Kabinenecke geflüchtet war, geflüstert. »Tu so, als gäb’s dich nich, Phyllis, du bist garnich da, Phyllis, garnich da biste, verstehste, oh, Allmächtiger, nich auch noch mein Schmuckkästchen! Mein schönes Schmuckkästchen! Oh, ihr Diebespack, Pest un Aussatz über euch, die Krätze sollt ihr kriegen, die Schwänze solln euch abfaulen! Oh, oh, oh …«
    Dann, unvermittelt wie ein Gewitter, war der Spuk vorbei gewesen. Phoebe und Phyllis hatten in ihrer Ecke gesessen und sich bekreuzigt.
    Und jetzt, da eine merkwürdige, fast lähmende Stille auf dem gesamten Schiff eintrat, rappelte Phoebe sich auf. »Was hat ’n das nu wieder zu bedeuten?«, schimpfte sie, während sie sich den Staub aus dem Kleid klopfte. »Warte hier. Ich seh mal nach.«
    Sie trat nach draußen aufs Oberdeck und erblickte ein Blutbad von solchen Ausmaßen, dass es ihr die Sprache verschlug. Als Straßenmädchen war ihr der Anblick von Toten und Sterbenden vertraut, aber das hier, das war in seiner Entsetzlichkeit mit nichts zu vergleichen.
    »Jesus Christus!« murmelte sie endlich. Nur wenige Schritte von ihr entfernt hatte ein schwer bewaffneter Pirat einen vor ihm liegenden Mann

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