Der Chirurg von Campodios
Körper deckte Vitus die Kameraden ab. Flüchtig dachte er an Arturo, den
Maestro di scherma
und Wortführer der Gaukler, der ihm die Fechtkunst so trefflich beigebracht hatte. Doch wie anders war dieses Gemetzel im Vergleich zu dem strengen Reglement, nach dem er und Arturo sich gemessen hatten!
Unter sich, auf dem Hauptdeck, sah er plötzlich Gerald und Powell mit ein paar Unverzagten auftauchen. Robson war dabei und einige andere. Sie fochten Seite an Seite, hinter sich den hölzernen Rumpf des großen Beiboots, und erwehrten sich nach Kräften dem Ansturm der Piraten. Wozu, allmächtiger Vater im Himmel, habe ich mich so gemüht, ihre Gesundheit wiederherzustellen, wenn sie hier sinnlos abgeschlachtet werden? »Gerald! Haltet durch!«, schrie er und wusste im selben Augenblick, wie sinnlos sein Ruf wirken musste. Zu groß war die Zahl der Heranstürmenden.
Immerhin hatte er selbst jetzt die Querreling erreicht, links neben sich den getreuen Magister und rechts den tapfer kämpfenden Ó Moghráin. Drei weitere Angreifer stürzten jählings heran, von denen die beiden ersten durch die wütenden Parierschläge seiner Mitstreiter abgedrängt wurden. Vitus sprang nach vorn und schlug eine Finte vor dem dritten, der grinsend seine schwarzen Stummelzähne zeigte, während er ein riesiges Enterbeil schwang. Der Halunke reagierte wie gedacht, gab sich eine Blöße, und Vitus zog ihm die Klinge durch die Fratze. Der Magister gab ihm von der Seite den Rest. Der Mann taumelte zurück und sank zu Boden, doch noch bevor er lag, senkte sich zum Erstaunen von Freund und Feind eine riesige weiße Plane auf ihn herab – es war eines der beiden Lateinersegel, dessen Takelung durch Musketenschüsse zerstört worden war.
Für wenige Augenblicke war der Kampf unterbrochen, doch dann setzte er wieder mit aller Heftigkeit ein. Vitus sah, wie einige der Angreifer von der Heckgalerie zurück auf die feindliche Galeone sprangen, die Hände voller Habseligkeiten aus den Kabinen der Passagiere. Truhen, Kisten und Taschen waren darunter, ferner Kleiderkoffer und Hutschachteln der beiden »Damen« Phoebe und Phyllis, und da: Seine Kiepe! Sein Stecken! Sein Instrumentenkoffer! Was wollte dieses Pack mit seinen Sachen? Und endlich, wie um dem Irrwitz des Geschehens die Krone aufzusetzen, wurde ein einzelner rosiger Schinken von Bord geschleppt.
»Wartet, Ihr Diebespack!«, schrie er, »das zahle ich euch heim!« Voller Ingrimm focht er weiter. Seine Instrumente! Er brauchte sie! Er liebte sie! Die Skalpelle, die Lanzetten, die Nadeln … Und das Buch
De morbis
, die größte Kostbarkeit, die er besaß. Es musste um jeden Preis gerettet werden!
Neue Kräfte erwuchsen ihm, er schnellte vor und bemerkte auf dem Steuerbordgang der Galerie eine neue Gestalt – Stout! Allein kämpfend versuchte er, sich gegen vier oder fünf Mordbuben zu behaupten. Man konnte von ihm halten, was man wollte, aber in dieser Situation bewies er Mut. Einen der Angreifer hatte er wie ein Kind gepackt, hochgehoben und seinen Gegnern vor die Füße geschleudert. Die Zeit, die er dadurch gewann, nutzte er hastig, um einen armlangen Dolch vom blutgetränkten Deck aufzuheben. Entschlossen trat er damit den anderen entgegen.
Ich wünsche Euch alles Gute, Kapitän Stout!, dachte Vitus, während er selbst sich eines neuen Ansturms der Piraten erwehren musste. Ich kann Euch nicht helfen!
Einen Wimpernschlag später sah er aus dem Augenwinkel, wie ein mächtiger Streich den Kopf des Mannes traf, der von vielen nur »Geizhals« genannt wurde. So gewaltig war der Schlag, dass die Klinge den Schädel bis zur Nasenwurzel spaltete. Der Pirat, dem sie gehörte, war groß gewachsen und von beeindruckender Statur. Das Bemerkenswerteste an ihm war jedoch der starke Unterkiefer. Zwei-, dreimal versuchte er, die Klinge herauszuziehen, bis es ihm endlich gelang. Blutüberströmt, mit zuckenden Gliedern, sank Stout zu Boden.
Der riesige Pirat schrie jetzt Befehle, er schien der Anführer der Bande zu sein. Eine neue Angriffswelle des Mordgesindels wogte heran. Der Magister und Ó Moghráin wurden abgedrängt. Vitus wollte ihnen nach, doch er merkte, wie seine Kräfte nachließen. Aus dem Gewimmel der Arme und Leiber vor ihm tauchte der Kerl mit dem kräftigen Unterkiefer erneut auf. Das war der Urheber allen Übels! Vitus wollte auf ihn los, wollte ihn stellen, als er jählings auf einer Blutlache ausrutschte, vergebens mit den Händen in der Luft Halt suchte und schließlich mit
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