Der Chirurg von Campodios
als Sprietsegel takeln, Männer, das bedeutet, wir brauchen ein weiteres, von unten nach oben diagonal verlaufendes Rundholz. Nun ja, wenigstens kommen wir dann ohne Baum und Gaffel aus.«
Der einzige Lichtblick unter den ständig neu auftauchenden Schwierigkeiten war der Kompass gewesen, den Ó Moghráin zufällig im Schiffsrumpf fand. Es handelte sich offenbar um ein Stück aus dem persönlichen Besitz Stouts, denn es war wesentlich besser gearbeitet als der Schiffskompass, hinter dem der Rudergänger der
Gallant
gestanden hatte. Strahlend war der Steuermann damit zu Vitus gekommen und hatte gerufen: »Cirurgicus, welch ein Glück! Mit diesem Instrument wird das Navigieren um vieles leichter werden. Seht nur die präzise gearbeitete Kompassrose.«
»Prächtig! Wir werden das Ding sicher gut brauchen können.«
Neben dem Kompass hatte es noch etliche andere Gegenstände gegeben, die sie gut verwenden konnten und die sie teils im Wrack, teils auf dem Wasser treibend fanden, darunter eine fast neue Handsäge, eine Bundaxt, ein paar scharfe Stemmeisen und ein Zugmesser, Dinge, über die sich Bride besonders freute. Ferner Tauwerk jeglicher Art und Länge, das in seiner Qualität allerdings meistens zu wünschen übrig ließ, sodann zwei kleine Wasserfässchen, die in Stouts Kajüte aufgetrieben wurden, desgleichen eine aufgebrochene Kiste, die portionsweise abgefüllte
Portable soup
enthielt.
Sie hatten gehofft, weitere Fässer mit Nahrung zu finden, und jede Gelegenheit genutzt, um Ausschau nach vorbeitreibendem Gut zu halten, doch außer einem Fässchen mit Hartbrot und einem mit Bohnen war ihnen nichts mehr in die Hände gefallen.
Vitus hatte eine Muskete sichergestellt, ein gut gearbeitetes Stück, das aber so verschmutzt und durchnässt war, dass es einer gründlichen Reinigung bedurfte, wollte man es als Waffe benutzen. Er hatte auch einen wasserdichten Sack mit Utensilien zur Bedienung der Waffe gefunden und hoffte, dass er niemals gezwungen sein würde, alle diese Dinge im Ernstfall einsetzen zu müssen.
Eine der wieder an die Meeresoberfläche gespülten Leichen, es hatte sich um einen Piraten gehandelt, trug im Stiefel versteckt ein feststehendes Messer. Vitus sorgte auch in diesem Fall dafür, dass die Waffe an ihn abgegeben wurde, wobei ihm der scharfsichtige Zwerg behilflich war: »Wui, Fraggles, meinst, uns wärn die Spählinge trüb, wie? Meinst, kannst dir den klitzen Piekser schnappen, un keiner lugt’s? Heraus damit, oller Strohputzer!«
Ein vorbeischwimmender breitkrempiger Hut war aufgelesen, begutachtet und anschließend an Phyllis weitergereicht worden – als Sonnenschutz für ihre weiße, höchst empfindliche Haut. Daneben hatte etwas Glänzendes, die Augen blendendes im Wasser gedümpelt. Es war das Stundenglas gewesen, das Phoebe alsbald mit geschicktem Griff retten konnte.
Der Magister hatte, trotz seiner Kurzsichtigkeit, einige Angelhaken, zwei Harpunen, eine intakte Laterne und mehrere Holzeimer entdeckt, worauf er nicht wenig stolz war, dazu ein Jesuskreuz, das sie, nachdem der Mast gesetzt war, in Mannshöhe annagelten.
Später war Jacks Holzkäfig vorbeigetrieben, und der Zwerg fischte das Gestell aus dem Wasser, damit der erschöpfte Vogel wieder darin verwahrt werden konnte.
In der Morgendämmerung des dritten Tages wollte Vitus zum letzten Mal dem Wrack einen Besuch abstatten, und wie immer war sein Blick zunächst kritisch nach oben gegangen, wo über ihm, einem schwarzen, kantigen Felsen gleich, das Heck der
Gallant
aus dem Wasser ragte. Doch das brave Schiff schwamm, unbeirrt und unverändert, als wüsste es, dass es so lange durchhalten musste, bis alles von Wert geborgen war.
Vitus war an den am Wrack herunterhängenden Seilen und Tauen hochgeklettert, wobei er sich vorsichtig an den scharfkantigen Muscheln vorbeihangelte, und seine Mühe war an diesem Morgen besonders belohnt worden, denn wenig später stieß er in Stouts Kajüte auf ein eisernes Kohlebecken, das dem Geizhals in kalten Nächten als Wärmespender gedient haben mochte. Ein willkommener Fund, der mit dem reichlich vorhandenen Trümmerholz gut befeuert werden konnte.
Und noch etwas hatte er entdeckt: Es war das persönliche Schiffstagebuch von Stout, zwar aufgeweicht und seewasserdurchtränkt, doch immerhin noch ganz, außerdem ein gut verschlossenes, nahezu volles Tintenfass sowie ein paar ordentliche Federn. Diese Utensilien wanderten ebenfalls an Bord der
Albatross
.
Am Nachmittag, Ó Moghráin mit
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