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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nach grober Schätzung auf 15 Grad nördlicher Breite, Kurs West, in der Hoffnung, die Antillischen Inseln zu erreichen. Die Vorräte sind knapp. An Bord greift das Schwarze Erbrechen um sich. Wir beten viel, doch wenn es dem Allmächtigen gefällt, gehen wir alle zugrunde, und die, die nach uns kommen, werden den Teufel Jawy zu richten haben. Das Fieber wütet. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Der Matrose Fraggles starb bereits eines qualvollen Todes und musste der See übergeben werden. Gott verzeih uns, wir haben ihm vorher Hemd, Wams und Hose genommen. Wir brauchen Kleidungsstücke so sehr wie Nahrung, zum Schutz gegen die Sonne und das beißende Seewasser. Vater im Himmel, in Deine Hände befehle ich unseren Geist.
     
    Dieses schrieb am 1. Tag des Monats Februar A. D. 1578 auf der
Albatross
    Vitus von Campodios
, Cirurgicus Galeonis
    Fieberschauer durchliefen ihn, als er das Tagebuch in den Wind hielt, damit die Tinte schneller trocknete. Dann klappte er es zu und tat es ins Schapp, zusammen mit Tintenfass und Feder. Er musste sich zusammenreißen, denn seine Hände zitterten, und ihm war abwechselnd heiß und kalt. Das Schwarze Erbrechen! Außer ihm zeigten nicht nur Ambrosius, Bride und der Zwerg deutliche Anzeichen der tückischen Krankheit, auch Bantry und den Steuermann schien es erwischt zu haben. Dennoch mühte sich der tapfere Ó Moghráin – mittlerweile allein –, die
Albatross
auf Kurs zu halten.
    Seltsam, dass Hewitt und den beiden Mädchen nichts fehlte. Waren sie gegen die Geißel gefeit? Gewiss, man sagte, wer einmal das Schwarze Erbrechen überlebt hatte, bekäme es niemals wieder. Und man sagte auch, es würde durch den Stich einer Mücke übertragen. Einer Mücke? Woher, beim Allmächtigen, sollten auf hoher See Mücken kommen? Mücken in den Weiten des Ozeans, wo nicht einmal die allgegenwärtigen Möwen hinkamen?
    Mücken nicht. Aber vielleicht Larven.
    Ihn schauderte. Nicht nur ob des Gedankens, sondern auch, weil ihm plötzlich eiskalt wurde. Aus Larven konnten Mücken schlüpfen. Überall auf der Welt, wenn es nur warm genug war. Larven konnten auch auf einem Boot mitreisen. Oder auf einer Deckspforte, wie sie Hewitt als Floß gedient hatte …
    Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit Hewitt und die Mädchen zu fragen, ob sie das Gelbfieber überlebt hatten, doch nun schlugen seine Zähne aufeinander wie Schlegel auf die Trommel, und er zitterte am ganzen Körper vor Kälte. Er durfte nicht krank werden. Ein Arzt, der krank wurde, war keinen Pfifferling wert! Wie konnte er seine Freunde und Kameraden behandeln, wenn er darniederlag! Lächerlich. Gleich würde er ihnen helfen, doch zuvor, für eine kurze, ganz kurze Zeit wollte er sich unter das wärmende Tauwerk auf den Boden des Boots legen. Ja, das wollte er. Nur ganz kurz, nur ganz kurz …
     
    »Heee, Hewitt, kannste nich’n bisschen ruhiger segeln, denkst wohl, so ’ne Suppe schwappt nie nich über.«
    »Tut mir Leid, Phoebe, es geht nicht besser. Aber wir machen gute Fahrt, direkt nach Westen, immer nach Westen.«
    »Na gut, ’s liegt wohl am Wasser. ’s is so riffelich heut, un der Wind pustet auch mächtich. Na ja, ’s geht vorwärts, un das is die Hauptsache. Nich, Phyllis?«
    »Ja, ja, die Hauptsache.«
    »Bride stirbt bald, will meinen eignen Kopf essen, wenn’s nich so is.«
    Phyllis antwortete nicht.
    »Die anderen pfeifen auch ziemlich auf’m letzten Loch.« Phoebe rührte emsig die Suppe. »Ó Moghráin macht mir Sorgen. Der friert un schwitzt durchnander wie verrückt un kotzt sich nochmal tot. Schon ’ne Woche, ’ne ganze Woche isses so. Wird immer weniger, der Mann. Mach mir Sorgen um ihn.«
    Sie kostete ihr Gebräu. »Hm, Brot un Bohnen un den komischen Matschglibber vom Käptn un dazu ’s letzte gute Wasser, gemanscht zu ’ner dicken Pampe, ’s is nich grad das, was ’ne Dame speisen tät, aber gar nich schlecht, gar nich schlecht. Bei Gott, vielleicht hilft’s.«
    Phyllis nickte scheu.
    »Suppe muss heiß sein, Phyllis, verstehste, heiß musse sein, sonst gibtse nix her. Leg mal Holz nach, aber pass auf, dasses trocken is.«
    Phyllis gehorchte und schob Splitterholz ins Kohlebecken. Es knackte und zischte und schwelte.
    »Suppe innem Eimer kochen, innem Eimer, Phyllis! Da wär’n die Männer nie nich drauf gekommen, das kannste mir glauben.«
    Am Morgen dieses Tages war Phoebe mit den Zehen gegen einen Holzeimer gestoßen, der zwischen den Kranken am Bootsboden gelegen hatte. »Pest un

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