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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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gar nicht sein. Also?«
    Vitus zögerte. Wenn sich seine Vermutung bestätigte, war ohnehin alles egal. Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Ich mache mir ernstlich Sorgen wegen Fraggles.«
    »Na und, das tun wir doch all …«, der kleine Gelehrte unterbrach sich, denn plötzlich stieß Fraggles schauerliche Laute aus und begann hinter seinem Knebel zu würgen. Er keuchte und stöhnte und lief gefährlich rot an.
    »Er erstickt!«, schrie Vitus und sprang über die hintere Ruderbank nach vorn. Keinen Augenblick zu früh erreichte er den Mast, riss dem Meuterer den Kopf hoch und zog ihm die Stoffrolle aus dem Mund. Ein Schwall Erbrochenes, durchmischt mit Blut, kam hinterher und spritzte auf die Bootsplanken. Der Geruch nach frisch geschlachteter Leber verbreitete sich. Fraggles rang rasselnd nach Luft. Dann zog sich sein Magen erneut zusammen, und abermals übergab er sich. »… heißa, wie ein Jungfernschoß, der’s mit dem Satan …«, stieß er noch einmal hervor, doch ein neuerlicher Anfall brachte ihn zum Schweigen. Schließlich war er so geschwächt, dass sein Kopf kraftlos nach vorn auf die Brust fiel.
    »Macht ihn los«, befahl Vitus. »Er ist krank. Ich werde ihm Wasser geben.«
    Später, als die beiden Freunde wieder im Heckbereich saßen, fragte der Magister. »Meinst du, Fraggles hat was Ernstes? Etwas, das mit seiner Verrücktheit zusammenhängt? Sag schon, was hat er?«
    »Ich fürchte, er hat das Schwarze Erbrechen.«
     
    Einen Tag später war Fraggles’ Gesichtshaut eindeutig gelb, dazu aufgequollen wie die eines Froschs. Er litt unter starken Schmerzen in Kopf und Rücken und musste sich immer wieder übergeben. Da sein Magen längst leer war, trat nur noch dunkle Galle zutage. Er verfiel rasch, denn durch das Fehlen jeglicher Medikamente war ärztliche Pflege nicht möglich. Nur Wasser, mehrmals täglich in kleinen Mengen verabreicht, konnte seinen kläglichen Zustand vorübergehend lindern.
    Einen weiteren Tag darauf verfiel er ins Delir, redete mit geschlossenen Lidern wirres Zeug und begann mehrmals, seine makabren Sätze von den Schenkeln der Jungfrau des Satans herzusagen, doch reichten seine Kräfte nicht mehr, den Unsinn zu vollenden, worüber jedermann im Boot froh war.
    Vierundzwanzig Stunden später war er so schwach, dass er kaum noch atmen konnte. Und einen Tag darauf starb er.
    Bruder Ambrosius, beileibe kein Freund des Toten, raffte sich auf, bat den Allmächtigen um Verzeihung, dass er für das Schicksal des Toten so wenig Mitleid aufzubringen vermochte, und betete:
    »Der Herr ist mein Hirte,
    mir wird nichts mangeln.
    Er weidet mich auf einer grünen Aue
    und führet mich zum frischen Wasser.
    Er erquicket meine Seele.
    Er führet mich auf rechter Straße
    um seines Namens willen.
    Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
    fürchte ich kein Unglück;
    denn Du bist bei mir,
    Dein Stecken und Stab trösten mich …
    Amen.«
    Er sprach nicht den vollen Wortlaut des 23. Psalms, denn er fühlte sich an diesem Tag ungewohnt schlecht. Seine Stirn war fieberheiß, und er musste sich nach dem Gebet erst einmal setzen. Wie ihm erging es Bride, dem übel und schwindelig war, und ebenso dem Zwerg.
    Auch Vitus spürte, wie ein dumpfer Schmerz sich in seinem Nacken einnistete. Zunächst wollte er es nicht wahrhaben und redete sich ein, dass alles eine Folge der gewaltigen Beule war, die noch immer seinen Hinterkopf zierte, doch bald darauf wurde ihm klar, dass er sich etwas vormachte:
    Er würde das Schwarze Erbrechen bekommen, genauso wie alle anderen.
    An denjenigen, den es angeht.
     
    Diese Zeilen im Schiffstagebuch der
Gallant
sollen Zeugnis ablegen über eine Schandtat, die vor Gott und der Welt gesühnt werden muss. Am 19. Januar anno 1578 wurde unser braver Segler von Piraten überfallen und in die Luft gesprengt. Der Anführer ist ein Teufel in Menschengestalt namens Jawy. Er wird wegen seines riesigen Unterkiefers so gerufen. Nur acht Männer haben die Katastrophe überlebt: Bruder Ambrosius, ein Augustinermönch, der Magister der Jurisprudenz Ramiro García, der Zwerg Enano, der Steuermann Donal Ó Moghráin, der Zimmermann Joshua Bride, die Matrosen Fraggles und Bantry und der Schiffsarzt Vitus von Campodios, dazu zwei junge Frauen, Miss Phoebe und Miss Phyllis. Ein weiterer Mann namens Hewitt, schiffbrüchig wie die zuvor Genannten, konnte wie durch ein Wunder aufgefischt werden. Wir segeln im Beiboot der
Gallant,
welches wir
Albatross
getauft haben, und stehen

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