Der Chirurg von Campodios
herrschte gespannte Stimmung. Sie ging von Fraggles aus, der, nachdem er gefesselt worden war, immer wieder die unflätigsten Beschimpfungen gegen Vitus und Ó Moghráin ausstieß.
»Macht Euch nichts draus, Cirurgicus«, hatte der Steuermann gemeint, »ich kenne diese Sorte Männer, sie sind chronische Meuterer, die normalerweise nur hinter dem Rücken stänkern, aber dann, wenn sie glauben, ihre Stunde sei gekommen, das Maul umso weiter aufreißen.«
»Wir werden sehen, was wir mit ihm machen«, hatte Vitus geantwortet. »Er kann nicht für immer gefesselt bleiben.«
»Bei Gott, das kann er nicht, spätestens dann nicht, wenn schweres Wetter aufzieht, was die Heilige Mutter Maria verhüten möge.«
Hewitt, der quer auf die vordere Ruderbank gelegt worden war, ging es gottlob besser. Während der Vormittagswache hatte Vitus ihm in regelmäßigen Abständen Wasser eingeflößt, unterstützt von Ambrosius und dem Magister und begleitet von den Flüchen Fraggles’, der in seinen Beleidigungen nicht müde wurde und obendrein ständig nörgelte, dass ihr Trinkwasser zu schade sei für einen Halbtoten.
Schließlich war es Vitus zu bunt geworden: »Wenn du nicht bald den Mund hältst, Fraggles, verpassen wir dir einen Knebel.«
Dass es Hewitt besser ging, sah man besonders an seinen Augen. Sie waren wieder klar, wenn auch der Schmerz in ihnen stand. Der Gerettete blickte ernst und gefasst in die Gesichter über ihm.
»Ich muss mir deine Wunde mal ansehen«, sagte Vitus. Er nahm die durchstochene Hand und bewegte sie vorsichtig. »Das Drehen des Gelenks scheint dir keine Schwierigkeiten zu bereiten.«
Hewitt zog scharf die Luft durch die Nase.
»Natürlich, du hast große Schmerzen. Aber du hast auch großes Glück gehabt. Der Messerstoß, denn darum handelt es sich offenbar, ist glatt durchgegangen. Auf der einen Seite hinein, auf der anderen wieder heraus, vorbei an Muskeln, Sehnen und Knochen. Nichts von alledem scheint verletzt zu sein.« Vitus bog vorsichtig die äußeren Glieder um. »Hm, das geht ja ganz ordentlich. Kannst du die Finger auch allein bewegen?«
Hewitt tat es mühsam.
»Sehr gut.« Er beugte sich herab und beroch die Wunde eingehend. »Sie riecht sauber. Wie ich mir dachte, sitzt kein Wundbrand darin. Die Säfte sind im Gleichgewicht. Allerdings brennt es höllisch, stimmt’s?«
Hewitt nickte.
»Das liegt am Meersalz.« Vitus betrachtete die rot geschwollenen Wundränder. Im Stichkanal blinkten weißliche Salzkristalle. Er befeuchtete ein winziges Stoffstück mit kostbarem Süßwasser und begann die Wunde auszuwaschen, wobei er die Hand, die unter dem zugefügten Schmerz fortwährend zurückzuckte, immer wieder zu sich heranziehen musste. Endlich war er fertig. »Mehr kann ich nicht für dich tun, Hewitt.«
Kaum hatte Vitus das gesagt, erklangen im Bug ratschende Geräusche. »Könntet ihm noch’n Verband machen, Cirurgicus«, ließ Phoebe sich vernehmen, »hier, ’s is nur ’n schmaler Streifen, aber ’s is besser als nix, un mein Kleid sieht sowieso schon aus wie vonner Vogelscheuche.«
»Und beten«, sprach Ambrosius. »Beten können wir auch. Und dem Herrn danken, dass er dich, mein Sohn, gerettet hat. Doch zuvor erzählst du uns, so du magst, wie das alles gekommen ist.«
»Ja, Vater.« Und während Vitus ihm den Verband anlegte, begann Hewitt zu berichten. Er sprach leise und stockend, und oftmals musste er aus Schwäche eine Pause einlegen. Endlich schwieg er und schloss erschöpft die Augen.
Als er geendet hatte, sagten seine Zuhörer lange Zeit nichts. Dann meinte Vitus: »Du, Hewitt, bist genauso ein Opfer dieses teuflischen Jawy wie wir. Doch dank deiner Schilderung kennen wir ihn jetzt. Und das wird uns helfen, ihn zu vernichten – wenn wir ihm noch einmal begegnen.«
Drei weitere Tage vergingen, an denen Fraggles nicht nachließ, übelste Beschimpfungen auszustoßen. Immer dann, wenn die Mannschaft glaubte, er sei endlich zur Vernunft gekommen, und ihn vom Mast losbinden wollte, setzten seine Pöbeleien erneut ein. Der Mann wurde zur Plage. Das, was er Hewitt, der inzwischen so weit genesen war, dass er mit Wache gehen konnte, vorwarf, galt nun für ihn selbst: Er war ein nutzloser Fresser und Wassertrinker. Und er war weder durch gute Worte noch durch Gebete zu einem Sinneswandel zu bewegen. Im Gegenteil, bei der abendlichen Andacht, die Bruder Ambrosius zu halten sich angewöhnt hatte, schrie er dazwischen und störte ein ums andere Mal. Und als der Mönch
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