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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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und sein Wams, was sie alles in allem zu einer abenteuerlich anmutenden Erscheinung machte.
    »So, als Erstes Ambrosius. Biste wach, Vater? Hier is was Gutes zum Futtern. Hab’s selbst gekocht.« Es hatte sich ganz selbstverständlich ergeben, dass Phoebe alle Männer duzte. Das Elend, die Qualen, der Gestank, die Hilflosigkeit, die Angst – das alles hatte sie zusammenrücken lassen. Unterschiede des Standes, des Glaubens oder der Bildung waren fortgefallen. Sie waren nur noch Menschen.
    Ambrosius murmelte etwas Unverständliches. Er lag quer auf der ersten Ruderbank, sein Kopf ruhte in einem Knäuel aus Werg. Phoebe schob ihre Hand unter seinen Nacken, hob ihn leicht an und drückte seine Wange gegen ihren fülligen Busen. Sie tat das ganz absichtlich, denn sie hatte festgestellt, dass in den Stunden der größten Qualen, wenn die Männer nur noch wimmerten und lallten und phantasierten, diese Berührung etwas Beruhigendes auf sie ausübte. Vielleicht, weil sie, wie alle Männer, im Grunde Kinder waren …
    »Gibste mal den Becher, Phyllis?« Phoebe streckte ihre freie Hand aus. Als der Becher ausblieb, blickte sie auf. »Was issen nu schon wieder? Wieso gibste den Becher nich? Ach, willst selbst die Suppe geben? Von mir aus, des Menschen Wille is sein Himmelreich, sach ich immer, ’s is ’n Bibelspruch, glaub ich, ’n Bibelspruch isses, nich, Ambrosius?«
    Der Mönch schlug die Augen auf. Phoebe sah in sein von der Krankheit gezeichnetes Gesicht. Der Mann war nur noch Haut und Knochen, doch insgesamt schien sein Zustand sich nicht verschlechtert zu haben. Das war ein gutes Zeichen! Der Cirurgicus hatte ihr, bevor das Schwarze Erbrechen ihn endgültig niederschlug, mit schwacher Stimme erklärt, dass jeder Tag, den der Fiebernde überlebte, die Wahrscheinlichkeit seiner Genesung vergrößerte.
    »Na, isja auch egal, ob’s ’n Bibelspruch is oder nich, nich? Hauptsache, gesund wirste, nich.«
    »Volente Deo«
, krächzte Ambrosius.
    »Was sachste? Weißt doch, dassich das lateinische Kauderwelsch nie nich versteh.«
    Ambrosius machte einen vergeblichen Versuch, Laute zu formen.
    »Lasses, wenn’s nich geht.« Phoebe drückte den Kopf des Mönchs stärker an ihren Busen. Es sah aus, als wiegte sie ein Kind. »Las – ses, las – ses, las – ses.«
    Phyllis kniff den Mund zusammen.
    »Wenn Gott will«, flüsterte Ambrosius.
    »Wenn Gott was will? Ach so, dassde gesund wirst. ’türlich wirste gesund, ich kenn dich doch.« Das war in der Tat der Fall, denn der Mönch hatte in seinen Fieberphantasien vieles über sich und seine Heimat preisgegeben. Wenn Phoebe auch nicht alles verstanden hatte, weil er sich dabei häufig des Deutschen bediente, so wusste sie doch, dass er aus einer reichen Kaufmannsfamilie stammte und in begüterten Verhältnissen aufgewachsen war. Er hatte sieben Geschwister, und er war der Einzige gewesen, der sich so stark zu seinem Schöpfer hingezogen fühlte, dass er sein Leben abgeschieden hinter Klostermauern verbringen wollte. Jahre später, nach einem Gottesurteil, hatte er es sich anders überlegt und war in die Welt hinausgezogen, um die Lehre des Allmächtigen zu verbreiten. »Un jetzt, Ambrosius, kriegste was Anständiges zwischen de Rippen, ’n fetter Kapaun is nix dagegen, das sach ich dir, was richtich Anständiges, nich, Phyllis?«
    »Ja, ja, was Anständiges.« Phyllis hielt den Becher so, dass Ambrosius die wärmende Suppe mit kleinen Schlucken aufnehmen konnte.
    »So, un nun schläfste wieder ’n bisschen. Schlaf isne gute Medizin hießes immer bei uns im Pu … , äh … zu Hause.«
    Sie kletterte nach hinten zum Magister und bettete den kleinen Gelehrten an ihre Brust. »Da wär’n wir. Biste wach, Magister, kannste mich hörn?«
    »Schrei nicht so«, flüsterte der kleine Mann, wobei er die Augen geschlossen hielt. Phoebe betrachtete die blasse, kreuzförmige Narbe, die ihr Patient auf der Stirn trug. Das Wundmal war, wie sie wusste, Folge einer grausamen Folterung durch die Inquisition – ein Schicksal, das ihn mit dem des Cirurgicus verband.
    »Ich un schrein? Wieso denn?«
    Der kleine Gelehrte öffnete die Augen, blinzelte und versuchte ein Grinsen. »Verehrteste …«, begann er.
    »Besser, du redst nich so viel, Magister. Essen musste, essen! Dassis wichtiger.« Sie gab ihm von der Suppe und beobachtete voll Zufriedenheit, wie er nach und nach den gesamten Becher leerte. »Phyllis, sei ’n Engel un mach dem Magister ’n neuen Wickel, so wie der

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