Der Chirurg von Campodios
Aussatz!«, hatte sie geflucht und sich die schmerzende Stelle gerieben. »Ich schmeiß dich über Bord!« Doch dann, mitten in der Bewegung, hatte sie den eisernen Boden gesehen, und eine Idee war ihr gekommen. »Will tot umfallen, wenn der verfluchte Eimer nich ’n verflucht guter Kochtopf is!«
Das Splitterholz wollte nicht anbrennen. Phyllis stocherte mit einem Span am Boden des Kohlebeckens und zuckte ratlos mit den Schultern.
»Lass mich mal.« Phoebe nahm ihr den Span ab und wühlte damit energisch in der Glut. »Siehste, so geht das, musst nur Luft anne Flammen lassen, Luft, verstehste.«
Danach rührte sie abermals die Suppe durch, kostete, rülpste mit geschlossenen Lippen und schien endgültig zufrieden. »So, dann wolln wir mal, was? … Halt, hätt ja fast meinen Liebling vergessen.« Sie wandte sich nach vorn. »Na, Jack, oller Gockel, immer noch am Leben?«
Der Hahn plusterte das Gefieder auf und legte den Kopf schief. Dann stieß er eine Portion Kot ab.
Phoebe grinste. »Das is auch ’ne Antwort. Kannst froh sein, dassde nich mit im Kochtopf steckst, aber was nich is, kann ja noch werden.«
Der Hahn scharrte auf dem Grund seines Käfigs.
»Hier sin keine Würmer nich, hab’s dir schon hundertmal gesacht, un wenn, dann wärnse mit im Topf. Put, put, put, put, put!« Sie steckte den Zeigefinger durch den Käfig, und der Hahn pickte vorsichtig dagegen. »Weißte noch, wiede mir das erste Mal innen Finger gehackt hast, du Scheusal? Na, ’s is vergeben un vergessen, Phoebe is nich nachtragend, warte mal.« Sie griff unter die Spritzabdeckung, wo sie in einem kleinen Holzkasten die letzten Krumen Hartbrot verwahrte. »Hier, das nimmste jetzt, ’s is das Letzte, was da is, nich? Die Krümel für dich un die Pampe für uns, un wenn alles wech is, schnappen wir Luft.«
Aber so weit war es noch nicht. Phoebe war von Natur aus optimistisch, was daran lag, dass sie stets nur in der Gegenwart lebte. Morgen war für sie in weiter Ferne, und was die Zukunft brachte, lag sowieso in Gottes Hand.
Als das Kommando über das Schiff wie von selbst auf sie übergegangen war, hatte sie den fiebernden Männern sofort wieder volle Rationen gegeben. Wenig genug war das gewesen, zumal die meisten so geschwächt waren, dass sie das harte Brot und die harten Bohnen nicht durchkauen konnten. Und die Fische, die Hewitt dann und wann mit der Langleine gefangen hatte, bereicherten den Speisezettel keineswegs, denn in Ermangelung eines Rosts verkohlten sie im Feuer. Rohen Fisch wiederum lehnte Phoebe kategorisch ab. Eher wollte sie sterben, als derartigen »Schweinkram« zu essen.
Doch nun, mit dem von ihr entdeckten Topf, sah alles anders aus. Darin würde sich sogar ein Fisch kochen lassen, vorausgesetzt, man hatte wieder Wasser. Die Aussicht darauf war durchaus gegeben, denn in den vergangenen Tagen hatte es zwei- oder dreimal heftig geregnet, wenn auch so kurz, dass Phoebe nicht in der Lage gewesen war, viel aufzufangen.
»So, dann wolln wir mal«, sagte sie abermals. »Haste deinen Becher, Phyllis? Gut, her damit. Die Damen zuerst.« Sie tauchte ihren und Phyllis’ Holzbecher in den Topf. »Lasses dir schmecken … Heee, Hewitt, wennste die Pinne für’n Augenblick festmachen kannst, kannste auch ’n Schlach vonner Suppe ham. Kannste?«
Hewitt konnte. So schnell es ging, kletterte er nach vorn, wo er seinen Teil abbekam.
Als die drei sich gestärkt hatten, befahl Phoebe: »Hewitt, geh zurück anne Pinne, un halt den Kahn ruhig. Un wir, Phyllis, wir geben ’n Schlach Suppe aus, damit unsre Männer was inne Knochen kriegen.« Die Männer, das waren Ambrosius, der Zwerg, der Magister, Bantry, Bride, Ó Moghráin und Vitus. Sie alle sahen mehr tot als lebendig aus, abgemagert, elend, mit wuchernden Bärten und aufgequollenen Gesichtern. Und alle zeigten die typischen Symptome des Schwarzen Erbrechens: hohes Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, quälender Durst, zuweilen Schmerzen im Oberbauch und immer wieder blutiges, erdfarbenes Erbrechen. Sie dämmerten dahin und waren selten klar bei Sinnen. Bride und Ó Moghráin hatte es am ärgsten getroffen. Sie waren die Ersten gewesen, denen Phoebe einen kühlenden, mit Seewasser angefeuchteten Wickel um die Stirn gebunden hatte. Die Maßnahme war dankbar angenommen worden, so dass sie kurz entschlossen ihr Kleid vollständig in Streifen zerrissen hatte, um auch den anderen diese Linderung zu ermöglichen. Sie selbst trug seitdem Fraggles’ Hosen, dazu sein Hemd
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