Der Clan
nur mit Liebe zu verfolgen, sondern auch mit Haß. Vom einen zum anderen ist bekanntlich nur ein kleiner Schritt.«
Seit mehr als zehn Jahren nun schon hatte Angelo es sich angewöhnt, Alicia von Zeit zu Zeit aufzusuchen, um sie darüber zu informieren, was bei XB Motors alles vor sich ging. Sie hielt immerhin fünf Prozent des Kapitals, und in den meisten Firmen war man damit bereits ein wichtiger Aktionär.
Einmal oder zweimal im Jahr fanden sie auch Gelegenheit, sich hinauf in ihr Schlafzimmer zu schleichen und dort auf dem Bett zusammen zu liegen, manchmal nur, um ein bißchen zu schmusen und sich zu küssen, meistens aber doch, um sich auszuziehen und es »richtig« zu tun. Alicia nahm diese Schäferstündchen mit Angelo keineswegs als nebensächlich hin, suchte aber auch nicht fieberhaft nach Gelegenheiten, mit ihm ins Bett zu gehen. Sie taten es, wie es von Anfang an vereinbart war: nur, wenn sich ganz zwanglos und risikolos eine Gelegenheit ergab.
Jetzt hatte er sich gerade von ihr gelöst, und sie hatte sich eine Zigarette angezündet und begann über die Hardemans zu reden.
Von Lorens drei Ehefrauen, dachte Angelo, war Alicia diejenige, die ihm im Bett am meisten Befriedigung verschaffte. Lady Ayres war eine Bettathletin gewesen, die manchmal sogar richtig wild
wurde. Roberta war stets energiegeladen und anspruchsvoll. Aber Alicia war einfach nur eine ruhige, gelassene, gute Intimpartnerin. Sie gab sich offen und rückhaltlos hin, ohne Einschränkungen, Umstände und Ansprüche, frei und einfach der Freude und dem Genuß der Sache aufgeschlossen. Mehr noch, er wußte, daß es ihr nicht gleichgültig war, ob es für ihn gut und schön war. Ein weiterer Fehler Lorens: daß er diese Frau, Betsys Mutter, tatsächlich aufgegeben hatte.
»Ich denke mir oft«, sagte sie, »wie wichtig es gewesen wäre, daß Elizabeth länger gelebt hätte - die Frau von Nummer eins, meine ich. Ich habe sie nicht mehr gekannt. Sie starb ja schon, bevor Loren geboren wurde. Aber die Leute, die sie noch kannten, sagten immer, sie habe einen sehr stabilisierenden Einfluß ausgeübt.«
»Genau was auch mein Vater sagte.«
»Aber inzwischen ist die Familie ziemlich heruntergekommen. Und das mag damals mit Elizabeths Tod angefangen haben.«
»Das kann gut sein, ja«, nickte Angelo.
Alicia stippte ihre Zigarette in einen Aschenbecher auf ihrem Nachttisch. Sie streichelte ihm die Wange - nicht das Geschlecht; das berührte sie niemals nach der Liebe mit ihm. »Mein Enkel Van«, sagte sie, »hat sich in Anna verliebt, weißt du das?«
»Man hat es mir erzählt, ja. Sie sind noch sehr jung dafür.«
»Ja, aber sie sind der Schlüssel für die ganze Zukunft, Angelo! Stell dir vor, sie heiraten wirklich und haben Kinder. Das würde alles noch enger verbinden. Betsys Sohn und deine Tochter. Du hast die Pflicht, ihnen die Firma zu bewahren und eines Tages weiterzugeben. Darauf kommt es an.«
»Das ist Zukunftsmusik, Alicia. Im Moment sind sie praktisch noch Kinder.«
»Van ist zugleich auch Lorens Enkel. Wenn er erfährt, daß sein Enkel eine Tochter Angelo Perinos liebt und sie eines Tages vielleicht sogar heiratet .«
Angelo nickte lächelnd. »Ja, Alicia, ich habe es begriffen.«
Die Aktionärsversammlung 1990 von XB Motors war am Montag, dem 3. Februar. Nachdem dies noch zwei Wochen und einen Tag vor dem Ablauf der von Froelich & Green gesetzten Übernahmefrist war und dann die Klage der Regierung des Staates Michigan griff, war der gerichtsbestellte Konservator noch im Amt. Benjamin Marple stimmte also für die Hardeman-Foundation ab, nicht James Randolph. Loren hatte zwar versucht, die Versammlung zu verschieben, aber das war juristisch nicht möglich.
Der erste Tagesordnungspunkt war die Vorstandswahl.
Betsy ergriff das Wort. »Der gegenwärtige Vorstand besteht aus meinem Vater, Loren Hardeman dem Dritten, seiner Frau Roberta Ford Ross Hardeman, James Randolph, Angelo Perino und mir. Mr. Perino und ich sitzen im Vorstand, weil die Minderheitsaktionäre ihr Recht in Anspruch nahmen, kumulativ zu votieren, was auch heuer wieder der Fall sein wird. Ich beantrage die Wiederwahl meines Vaters und seiner Frau sowie von Mr. Perino und mir und daß Mr. Randolph durch Mr. Marple abgelöst wird.«
Marple, ein untersetzter, vorzeitig ergrauter Mann, lehnte jedoch kopfschüttelnd ab. »Mylady«, wandte er sich förmlich und titelgerecht an Betsy, »das ehrt mich sehr, aber ich fürchte, ich kann das Angebot, in den Vorstand von
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