Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Fortschritte mit ihr. Maya lernt allmählich, die Besessenheit zu beherrschen â und wer weiÃ, wie wir sie noch nutzen können. Sie versucht, es Sada und mir recht zu machen. Sie vertraut uns.«
»Aber du hast doch bestimmt nicht vor, dich den ganzen Winter von Inuyama fernzuhalten?«
»Ich sollte besser im Westen bleiben. Ich muss ein Auge auf meinen Bruder haben. Vielleicht halte ich mich den Winter über in Hofu auf â das Klima ist milder und ich bekomme alle Gerüchte mit, die im Hafen im Umlauf sind.«
»Und Sada wird dich begleiten?«
»Ich brauche Sada. Vor allem, wenn ich Maya mitnehmen soll.«
»Nun gut.« Sein Privatleben geht mich nichts an , dachte Takeo. »Lord Kono reist auch nach Hofu. Er kehrt in die Hauptstadt zurück.«
»Und Sie?«
»Ich hoffe, vor dem Winter wieder zu Hause zu sein. Ich werde bis zur Geburt unseres Kindes in Hagi bleiben. Und im nächsten Frühling reise ich nach Miyako.«
Vor Anbruch der Dämmerung kehrte Takeo in das Schloss von Maruyama zurück. Er war erschöpft von den nächtlichen Ereignissen, und als er seine letzten Kraftreserven anzapfte, um sich unsichtbar zu machen, überdie Mauern zu klettern und unbemerkt in sein Zimmer zurückzukehren, fragte er sich, was er da tat. Die Freude, die ihm die Stammesfähigkeiten zuvor bereitet hatten, war verflogen. Nun empfand er nur noch eine Abneigung gegen ihre dunkle Welt.
Ich bin zu alt für so etwas , dachte er, als er die Tür aufschob und eintrat. Welcher andere Herrscher schleicht nachts schon wie ein Dieb durch sein eigenes Land? Ich bin dem Stamm einmal entkommen und habe geglaubt, ihm für immer den Rücken gekehrt zu haben, aber er hat mich noch in den Fängen, und durch die Fähigkeiten, die meine Töchter von mir geerbt haben, werde ich niemals frei sein.
Was er entdeckt hatte, beunruhigte ihn tief, vor allem der Zustand Mayas. Sein Gesicht brannte, der Kopf tat ihm weh. Dann fiel ihm wieder der Spiegel ein. Er war ein Indiz dafür, dass man in Kumamoto mit Waren aus Ãbersee Handel trieb. Eigentlich sollten sich die Fremden nur in Hofu aufhalten, und nun waren sie auch in Hagi â gab es weitere Fremde im Land? Wenn sie in Kumamoto waren, müsste Zenko das wissen, aber er hatte nichts davon gesagt â und Taku auch nicht. Die Vorstellung, dass Taku vielleicht etwas vor ihm verbarg, erzürnte Takeo. Entweder behielt Taku etwas für sich oder er wusste nichts davon. Die Affäre mit Sada beunruhigte ihn auch. Männer wurden sorglos, wenn die Leidenschaft sie beherrschte. Wenn ich Taku nicht mehr vertrauen kann, bin ich verloren. Immerhin sind die beiden Brüder â¦
Als er einschlief, war es im Zimmer schon hell.
Nach dem Erwachen gab er den Befehl, alles für seinen Aufbruch vorzubereiten, und wies Minoru an, einen Brief an Arai Zenko zu schreiben und diesen zu bitten, Lord Otori seine Aufwartung zu machen.
Zenko kam am Nachmittag, er saà in einer Sänfte und wurde von einem Tross von Gefolgsleuten begleitet, alle prächtig gekleidet. Die Bärentatze der Arai prangte unübersehbar auf Gewändern und Bannern. In den wenigen Monaten nach ihrer Begegnung in Hofu hatten sich Gefolge und Auftreten Zenkos stark verändert. Er glich mehr denn je seinem Vater, war von beeindruckender Körpergestalt und sein Selbstvertrauen war noch weiter gewachsen. Seine Haltung, seine Männer, die Kleider und Waffen â all das zeugte von Luxus und Stolz.
Takeo badete und überlegte genau, welche Kleider er zu dem Treffen anziehen sollte. SchlieÃlich legte er ein feierliches Gewand mit steifen, breiten Schultern und langen Ãrmeln an, in dem er imposanter wirkte. Die Wunde auf seiner Wange mit ihren schrägen Schnitten konnte er jedoch nicht verbergen, und als Zenko sie erblickte, rief er: »Was ist denn passiert? Sind Sie verletzt? Man hat Sie doch nicht etwa angegriffen, oder? Ich habe nichts davon gehört!«
»Es ist nichts«, erwiderte Takeo. »Ich bin gestern Abend im Garten gegen einen Ast gelaufen.« Er wird denken, ich wäre betrunken oder bei einer Frau gewesen , dachte er, und wird mich noch tiefer verachten . Er meinte, in Zenkos Miene eine Mischung aus Geringschätzung, Abneigung und Groll zu erkennen.
Morgens hatte es geregnet und der Tag war kühl und feucht. Das rote Laub der Ahornbäume war noch dunkler geworden und begann
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