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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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sie ihre Sprache beherrschte, desto klarer wurde ihr, dass sie mehr über ihren Glauben erfahren musste, um sie verstehen zu können. Don Carlo schien ebenso eifrig darauf bedacht zu sein, sie zu verstehen, und als der Schneefall einsetzte und ihn daran hinderte, seine Forschungen auf den Feldern fortzusetzen, begleitete er Madaren öfter und ihre Gespräche wurden angeregter.
    Â»Er beobachtet mich auf eine Art, mit der normale Männer ihr Begehren zum Ausdruck brächten«, sagte Kaede zu Shizuka.
    Â»Vielleicht sollte man ihn zur Warnung auf Ihren Ruf hinweisen«, erwiderte Shizuka. »Es gab einmal eine Zeit, da hat dieses Begehren den Männern den Tod gebracht!«
    Â»Ich bin seit sechzehn Jahren verheiratet, Shizuka! Ich hoffe, dieser Ruf gehört inzwischen der Vergangenheit an. Außerdem kann es kein Begehren sein, denn wir wissen ja, dass Don Carlo natürliche Triebe dieser Art nicht kennt.«
    Â»Das wissen wir nicht genau! Wir wissen nur, dass erseinen Trieben nicht folgt «, stellte Shizuka klar. »Aber wenn Sie meine Meinung hören wollen: Ich glaube, er möchte Sie zu seiner Religion bekehren. Er begehrt nicht Ihren Körper, sondern Ihre Seele. Inzwischen spricht er schon von Deus, oder? Und erläutert die Religion seines Landes.«
    Â»Wie seltsam«, sagte Kaede. »Was kümmert es ihn, woran ich glaube?«
    Â»Mai, das Mädchen, das wir ihnen als Dienerin geschickt haben, erzählt, dass in ihren Gesprächen oft der Name Lady Otoris fällt. Mai versteht ihre Sprache zwar noch nicht ganz, aber ihrem Gefühl nach hoffen sie auf einen Zugewinn an Handel und Gläubigen, beides in gleichem Maße, und außerdem sind sie auf neues Land aus. So machen sie es überall auf der Welt.«
    Â»Nach allem, was sie erzählen, ist ihr Land unglaublich weit entfernt – man segelt länger als ein Jahr«, sagte Kaede. »Wie halten sie es aus, so lange von zu Hause fort zu sein?«
    Â»Fumio meint, das sei typisch für Kaufleute und Abenteurer dieser Art. Es macht sie sehr mächtig und gefährlich.«
    Â»Nun, ich denke nicht einmal daran, ihren merkwürdigen Glauben anzunehmen.« Kaede verwarf diese Vorstellung voller Verachtung. »Ich halte ihn für reinen Unsinn!«
    Â»Jeder Glaube kann wie Wahnsinn wirken«, sagte Shizuka. »Aber Menschen können so plötzlich davon befallen werden wie von der Pest. Ich habe es erlebt. Seien Sie auf der Hut.«
    Shizukas Worte erinnerten Kaede an die Zeit, als sie die Frau Lord Fujiwaras gewesen war und die langen Tage mit einer Mischung aus Gebeten und Dichtung verbracht hatte, ohne je das Versprechen zu vergessen, das ihr die Göttin gegeben hatte, als sie wie von Eis umschlossen im tiefen Kikutaschlaf gelegen hatte. Hab Geduld. Er wird dich holen.
    Sie spürte, wie das Kind in ihrem Bauch trat. Ihre Geduld war durch die Schwangerschaft, den Schnee, Takeos Abwesenheit bis zum Äußersten strapaziert.
    Â»Ach, mein Rücken tut weh«, seufzte sie.
    Â»Ich kann Sie gern massieren. Beugen Sie sich nach vorn.« Als Shizuka Kaedes Muskeln und Rückgrat knetete, schwieg sie, und ihr Schweigen wurde so tief, als wäre sie in einer Art Tagtraum versunken.
    Â»Woran denkst du?«, fragte Kaede.
    Â»An Geister der Vergangenheit. Damals habe ich oft mit Lord Shigeru in diesem Raum gesessen. Ich habe ihm mehrmals Nachrichten von Lady Maruyama gebracht – Sie wissen ja, dass sie eine Gläubige war.«
    Â»Sie hat an die Lehren der Verborgenen geglaubt«, sagte Kaede. »Obwohl die Religion der Fremden ganz ähnlich ist, habe ich das Gefühl, als wäre sie dogmatischer und starrer.«
    Â»Noch ein Grund mehr, vor diesen Männern auf der Hut zu sein!«
    Im Verlauf des Winters machte Don Carlo sie mit weiteren Wörtern bekannt: Hölle , Strafe , Verdammnis , und Kaede erinnerte sich an das, was Takeo über den allwissenden Gott der Verborgenen und dessen gnadenlosen Blick erzählt hatte. Takeo hatte offenbar beschlossen, diesen Blick zu ignorieren, und dafür liebte und bewunderte sie ihn umso mehr.
    Denn die Götter mussten doch wohlgesinnt sein und sich wünschen, dass das Leben für alle Geschöpfe harmonisch weiterging, die Jahreszeiten verstrichen, die Nacht auf den Tag und der Winter auf den Sommer folgte und dass der Tod, wie der Erleuchtete gelehrt hatte, nur eine Unterbrechung vor der nächsten Geburt

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