Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
sei …
    Dies versuchte sie mit Hilfe ihres beschränkten Vokabulars Don Carlo zu erklären, und als ihr die Wörter ausgingen, nahm sie ihn mit zum Schrein für die inzwischen fertig gestellte Skulptur der großen Gnädigen Kannon.
    Es war ein überraschend milder Tag zu Beginn des Frühlings. Die Pflaumenblüten hingen noch wie winzige Schneeflocken an den kahlen Ästen in Akanes Garten. Der Schnee, der die Erde bedeckte, war nass und matschig. Obwohl sie dies nicht mochte, wurde Kaede in einer Sänfte getragen, denn sie war im achten Monat schwanger und konnte wegen des Gewichts des Kindes nur langsam gehen. Don Carlo befand sich hinter ihr in einer anderen Sänfte, gefolgt von Madaren.
    Die Zimmerleute nutzten die Wärme aus und legten unter Taros Anweisung letzte Hand an den Schrein. Kaede freute sich, dass das neue Gebäude den Winter gut überstanden hatte, geschützt von seinem doppelten Dach, dessen Kurven, wie von Taro versprochen, wunderbar harmonisch wirkten und deren Aufwärtsschwung imschützenden Schirm der Kiefern seine Entsprechung fand. Auf dem Dach lag noch Schnee, der vor dem blauen Himmel glitzerte. Von den Traufen hingen schmelzende Eiszapfen, in denen sich das Licht brach.
    Die Oberlichter über den Seitentüren hatten die Form von Blättern und durch ihr feines Maßwerk fiel Licht in das Gebäude. Die Haupttür stand offen und die Wintersonne schien in großen Flecken auf den neuen Fußboden. Das Holz hatte die Farbe von Honig und roch genauso süß.
    Kaede begrüßte Taro und schlüpfte auf der Veranda aus ihren Sandalen.
    Â»Der Fremde interessiert sich für Ihre Arbeit«, sagte sie zu Taro und sah sich nach Don Carlo und Madaren um, die sich dem Schrein näherten.
    Â»Willkommen«, sagte sie zum Priester in dessen Sprache. »Dies ist ein ganz besonderer Ort für mich. Er ist neu. Dieser Mann hat ihn gebaut.«
    Taro verneigte sich und Don Carlo erwiderte die Geste mit einem unbeholfenen Kopfnicken. Sein Unbehagen schien noch größer zu sein als üblich, und als Kaede sagte: »Treten Sie ein. Sie müssen sich die herrliche Arbeit dieses Mannes anschauen«, schüttelte er den Kopf und erwiderte: »Ich schaue sie mir von hier an.«
    Â»Von hier sehen Sie nichts«, wandte Kaede ein, doch Madaren flüsterte: »Er geht nicht hinein. Das ist gegen seinen Glauben.«
    Diese Unhöflichkeit weckte Kaedes Zorn, zumal sie die genauen Gründe dafür nicht kannte, doch so leicht wollte sie nicht nachgeben. Sie hatte ihm den ganzenWinter zugehört und viel von ihm gelernt. Nun sollte er zur Abwechslung einmal ihr zuhören.
    Â»Bitte«, sagte sie. »Erfüllen Sie meine Bitte.«
    Â»Es ist bestimmt interessant«, ermutigte Madaren ihn. »Sie werden sehen, wie das Gebäude konstruiert und wie das Holz geschnitzt ist.«
    Don Carlo zog mit demonstrativem Zögern seine Stiefel aus, wobei ihn Taro ermunternd anlächelte. Kaede betrat den Schrein. Die fertige Skulptur stand vor ihnen. Die eine Hand, vor die Brust gelegt, hielt eine Lotosblume, die andere hob mit zwei schlanken Fingern den Saum ihres Gewandes. Die Falten des Gewandes waren so kunstvoll geschnitzt, dass sie im leichten Wind zu wehen schienen. Die Göttin hielt den Blick gesenkt, ihre Miene wirkte sowohl streng als auch mitfühlend, ihr Lächeln war archaisch.
    Kaede legte die Hände aneinander und neigte den Kopf, um zu beten – für ihr ungeborenes Kind, für ihren Mann und ihre Töchter und dafür, dass Akanes Geist endlich Ruhe fände.
    Â»Sie ist sehr schön«, sagte Don Carlo mit einer gewissen Verwunderung, doch er betete nicht.
    Kaede ließ Taro wissen, dass der Fremde die Skulptur sehr bewundere, und gab sein Lob übertrieben wieder, um seine Unhöflichkeit von vorhin wettzumachen.
    Â»Das ist nicht mir zu verdanken«, erwiderte Taro. »Meine Begabung ist nur mittelmäßig. Meine Hände horchen auf das, was sich im Holz befindet, und helfen ihm dann, zum Vorschein zu kommen.«
    Kaede gab sich größte Mühe, dies zu übersetzen. MitHilfe von Gesten und Skizzen erklärte Taro Don Carlo die Bauweise des Dachstuhls, dessen Streben einander Halt gaben. Im Anschluss holte Don Carlo sein Notizbuch hervor und zeichnete, was er sah, erkundigte sich nach den Namen der verschiedenen Hölzer und Verstrebungen.
    Sein Blick glitt immer wieder zur

Weitere Kostenlose Bücher