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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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seltsamen Namen zum ersten Mal aus. »Du sollst meine Lehrerin sein. Ein Übermaß an Höflichkeitsfloskeln ist unnötig.«
    Â»Sie sind sehr gütig«, sagte Madaren. Sie lächelte leicht, als sie sich aufrichtete.
    Â»Morgen beginnen wir mit dem Unterricht«, sagte Kaede.
    Madaren kam jeden Tag. Sie fuhr auf einem Boot über den Fluss und ging durch die engen Straßen zum Haus am Flussufer. Der tägliche Unterricht wurde zu einem Teil des Haushaltsalltags, und ihre Aufgabe nahm sie ganz in Anspruch. Der Priester – Don Carlo – begleitete sie zweimal in der Woche und unterrichtete beide Frauen im Schreiben dessen, was er das Alphabet nannte, wobei sie die feinsten Pinsel benutzten.
    Da Haar und Bart rötlich und seine Augen von einem blassen Grün waren, war er der Gegenstand permanenter Neugier und Verwunderung, und er hatte bei seiner Ankunft meist eine Horde von Kindern und anderen Leuten im Schlepptau, die nichts Besseres zu tun hatten, als ihm ständig zu folgen. Er selbst war genauso neugierig, schnappte sich hin und wieder ein Kind, um dessen Kleider und Schuhe zu untersuchen, studierte jede Pflanze im Garten und nahm Madaren oft mit auf die Felder, um die verblüfften Bauern nach Feldfrüchten und Jahreszeiten zu befragen. Er führte viele Notizbücher, in denen er Wörter in Listen eintrug und Skizzen von Blumen, Bäumen, Gebäuden und landwirtschaftlichem Gerät machte.
    Kaede sah die meisten davon, weil er sie im Unterricht benutzte und oft eine schnelle Skizze anfertigte, um ein Wort zu erklären. Er war offensichtlich intelligent, was eine schamhafte Verwunderung in ihr hervorrief, weil sie ihn bei der ersten Begegnung für keinen richtigen Menschen gehalten hatte.
    Die Sprache war schwierig. Alles daran war wie auf den Kopf gestellt, und die männlichen und weiblichen Formen sowie die Art, auf die sich die Verben veränderten, konnte man nur mit Mühe behalten. Eines Tages, als sie sich besonders entmutigt fühlte, sagte sie zu Madaren: »Ich werde diese Sprache nie lernen. Wie hast du das nur geschafft?« Dass Madaren, eine Frau von niederer Herkunft und ohne jede Bildung, so flüssig sprach, war besonders ärgerlich.
    Â»Nun, ich habe sie unter Umständen gelernt, die fürLady Otori nicht in Frage kommen«, sagte Madaren. Sobald sie ihre Schüchternheit abgelegt hatte, begann sich ihr natürliches, praktisches und lebenskluges Wesen zu zeigen. Ihre Gespräche wurden entspannter, besonders wenn Shizuka daran teilnahm, was oft der Fall war. »Ich habe mich von Don João im Bett unterrichten lassen.«
    Kaede lachte. »Ich glaube nicht, dass mein Mann so etwas im Sinn hatte.«
    Â»Don Carlo ist noch nicht vergeben«, neckte Shizuka sie. »Vielleicht sollte ich mich von ihm unterrichten lassen. Kannst du die Techniken der Fremden empfehlen, Madaren? Man hört ja so viele Gerüchte über ihr Geschlechtsteil. Ich würde der Sache gern selbst auf den Grund gehen.«
    Â»Für so etwas interessiert Don Carlo sich nicht«, sagte Madaren. »Er scheint keine Frauen zu begehren – und auch keine Männer, was das betrifft. All das verurteilt er sogar. In seinen Augen ist der Liebesakt das, was er eine Sünde nennt – und Liebe unter Männern ist besonders verdammenswert.«
    Das war ein Gedanke, den weder Shizuka noch Kaede wirklich begriffen.
    Â»Vielleicht erklärt Don Carlo mir die Sache, wenn ich seine Sprache besser kenne«, sagte Kaede scherzhaft.
    Â»Bitte sprechen Sie ihn niemals auf so etwas an«, bat Madaren. »Das wäre ihm unglaublich peinlich.«
    Â»Hat es etwas mit seiner Religion zu tun?«, fragte Kaede etwas zögernd.
    Â»Wahrscheinlich. Er verbringt viel Zeit mit Beten und liest oft laut aus seinen heiligen Büchern über dieErlangung der Reinheit und die Zähmung fleischlicher Begierden.«
    Â»Aber Don João glaubt das Gleiche, oder?«, fragte Shizuka.
    Â»Ein Teil von ihm, aber seine Begierde ist stärker. Er befriedigt sich und im Anschluss hasst er sich dafür.«
    Kaede fragte sich, ob dieses eigentümliche Verhalten auch für Madaren galt, doch sie mochte sie danach genauso wenig fragen wie nach ihrem Glauben, obwohl sie gern gewusst hätte, inwieweit dieser dem der Fremden glich. Sie behielt die junge Frau in Anwesenheit der zwei Männer genau im Auge und dachte, dass diese sie tatsächlich

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