Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
ist mit Sicherheit der gröÃte Schatz Lord Otoris. Wird sie Sie morgen begleiten?«
Das war offenbar nur zum Teil als Frage gemeint. Takeo neigte leicht den Kopf.
»Lord Saga ist gespannt darauf, seine Gegnerin zu treffen«, murmelte Kono.
Am nächsten Tag kam Lord Kono mit den Okuda, Vater und Sohn, und den anderen Gefolgsleuten aus SagasHaushalt, um Takeo, Shigeko und Gemba zur Residenz des mächtigen Lords zu geleiten. Als sie im Garten eines groÃen und beeindruckenden Hauses aus den Sänften stiegen, sagte Kono: »Lord Saga hat mich gebeten, Sie um Verzeihung zu bitten. Er lässt gerade ein neues Schloss bauen â er wird es Ihnen später zeigen. Er befürchtet, Sie könnten sein Haus hier etwas zu schlicht finden, weil es nicht dem entspricht, was Sie aus Hagi gewohnt sind.«
Takeo zog die Augenbrauen hoch und musterte Kono, konnte in dessen Gesicht aber keine Anzeichen für Ironie entdecken.
»Wir sind durch die vielen Jahre des Friedens im Vorteil«, erwiderte er. »Dennoch bin ich mir sicher, dass wir in den Drei Ländern nichts zu bieten haben, das mit der Pracht der Hauptstadt mithalten könnte. Sie scheinen hier die geschicktesten Handwerker und begabtesten Künstler zu haben.«
»Meiner Erfahrung nach suchen solche Menschen ein friedliches Umfeld, in dem sie ihre Kunst ausüben können. Viele sind aus der Hauptstadt geflohen und kehren erst jetzt wieder hierher zurück. Lord Saga vergibt viele Aufträge. Er ist ein leidenschaftlicher Bewunderer aller Künste.«
Minoru, der sie begleitete, hatte Schriftrollen mit den Stammbäumen der Anwesenden sowie Listen dabei, auf denen die Geschenke für Lord Saga verzeichnet waren. Hiroshi hatte sich entschuldigt, weil er das Kirin nicht ohne Bewachung lassen mochte, aber Takeo vermutete, dass etwas anderes dahintersteckte: Der jungeMann wusste, dass ihm Land und Rang fehlten, und vermutlich wollte er nicht dem Mann begegnen, den Shigeko möglicherweise heiratete.
Okuda, diesmal nicht in der Rüstung, die er zuvor getragen hatte, sondern in feierlichen Gewändern, führte sie über eine breite Veranda und durch viele Zimmer, alle mit bestechend prachtvollen Gemälden geschmückt, die leuchtende Farben auf Goldgrund zeigten. Takeo konnte nicht anders, als die mutigen Entwürfe und die meisterhafte Ausführung zu bewundern. Trotzdem hatte er das Gefühl, als seien sie alle nur gemalt worden, um die Macht des Kriegsherrn zu betonen: Sie verherrlichten und ihr Zweck bestand in der Dominanz.
Unter riesigen Kiefern stolzierten Pfauen. Zwei mythische Löwen schritten über eine ganze Wand. Drachen und Tiger fauchten einander an. Falken blickten herrschaftlich von ihren Aussichtsplätzen auf Felsklippen mit zwei Gipfeln. Ein Gemälde zeigte sogar ein Hououpärchen, das Bambusblätter fraÃ.
In diesem Raum bat Okuda sie schlieÃlich, kurz zu warten, während er mit Kono verschwand. Das hatte Takeo vorausgesehen, denn dieses Mittel setzte er selbst oft ein. Niemand durfte glauben, zu leicht zum Herrscher vorgelassen zu werden. Er sammelte sich und betrachtete die Houou. Er war sich sicher, dass der Künstler niemals einen lebenden Vogel zu Gesicht bekommen hatte, sondern sich an die Legende hielt. Er lenkte seine Gedanken auf den Tempel in Terayama und auf den heiligen Wald mit den Paulownien, wo die Houou jetzt ihre Jungen groÃzogen. Er hatte Makoto vor Augen, seinenengsten Freund, der sein Leben dem Weg des Houou gewidmet hatte, dem Weg des Friedens, spürte die spirituelle Kraft von Makotos Unterstützung, verkörpert durch seine zwei Begleiter, Gemba und Shigeko. Alle drei saÃen schweigend da, und er spürte, wie die Energie im Raum wuchs und ihn mit ruhiger Zuversicht erfüllte. Er spitzte die Ohren wie damals im Schloss von Hagi, als man ihn auf ähnliche Art hatte warten lassen und er den Verrat der Onkel von Shigeru belauscht hatte. Nun hörte er, wie Kono leise mit einem Mann sprach, bei dem es sich vermutlich um Saga handelte, aber sie sprachen nur in Allgemeinplätzen über Belanglosigkeiten. Â
Kono ist auf mein Gehör hingewiesen worden , dachte er. Was hat Zenko ihm noch enthüllt?
Er dachte an seine Vergangenheit, die nur dem Stamm bekannt war. Wie viel wusste Zenko?
Nach einer Weile kehrte Okuda mit einem Mann zurück, den er als Lord Sagas obersten Haushofmeister und Verwalter vorstellte. Dieser sollte
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