Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
sie ausgezeichnet â, aber wir können nicht verhindern, dass wir massive Verluste erleiden. Je eher wir dieser Schlacht ein Ende setzen können, desto gröÃer sind die Chancen, die Verwundeten zu retten.
Wie den armen Sugita«, fügte er hinzu. »Und dich natürlich auch. Wundfieber ist im Moment unausweichlich, denn es gibt keinen Sonnenschein, in dem Wunden trocknen und verheilen könnten. Du sollst dich morgen ausruhen. Halte dich aus dem Kampf heraus.«
»Es ist nichts Ernsthaftes«, erwiderte Takeo, obwohl der Schmerz im Laufe des Tages immer stärker geworden war. »Zum Glück bin ich inzwischen gewohnt, die linke Hand zu benutzen. Ich habe nicht vor, mich vom Kampf fernzuhalten â nicht, bis Saga tot oder auf der Flucht zur Hauptstadt ist!«
Shigeko blieb die ganze Nacht bei Hiroshi und benetzte ihn mit kaltem Wasser, um das Fieber zu lindern. Am Morgen war er noch am Leben, zitterte aber heftig, und sie konnte nichts Trockenes finden, um ihn zu wärmen. Sie kochte Tee, den sie ihm einzuflöÃen versuchte, und wusste nicht, ob sie bei ihm bleiben oder wieder neben Gemba Stellung beziehen sollte, um Sagas nächsten Angriff abzuwehren. In die Hütten aus Baumrinde, die man für die Verwundeten errichtet hatte, regnete es hinein, der Boden war von Feuchtigkeit durchtränkt. Mai hatte Tag und Nacht hier verbracht und Shigeko rief sie zu sich.
»Was soll ich tun?«
Mai hockte sich neben Hiroshi und befühlte seine Stirn. »Ah, er friert«, sagte sie. »So wärmen wir die Kranken im Stamm.« Sie legte sich neben ihn und drückte ihren Körper sanft an den seinen. »Legen Sie sich auf die andere Seite«, wies sie Shigeko an, und diese gehorchte und spürte, wie ihre Wärme in Hiroshi eindrang. Die Mädchen drückten sich schweigend an ihn, bis seine Temperatur wieder zu steigen begann.
»Und so heilen wir Wunden«, sagte Mai leise. Sie zog den von Gemba angelegten Verband ab, leckte die Schnittwunden mit der Zunge sauber und spuckte darauf. Shigeko ahmte sie nach, schmeckte das Blut des Mannes und gab ihm ihren Speichel wie bei einem Kuss.
»Er wird sterben«, sagte Mai.
»Nein!«, erwiderte Shigeko. »Wie kannst du es wagen, so etwas zu sagen?«
»Er braucht richtige Pflege. Wir können das hier nicht Tag und Nacht tun. Sie sollten kämpfen und ich muss mich um andere kümmern, die gröÃere Ãberlebenschancen haben.«
»Aber wie können wir das Kämpfen beenden?«
»Männer lieben den Kampf«, sagte Mai. »Aber selbst die wildesten ermüden irgendwann, besonders wenn sie verwundet sind.« Sie warf Shigeko über Hiroshi hinweg einen Blick zu. »Sie müssen diesen Saga verwunden. Dann wird ihm die Kampfeslust vergehen. Verwunden Sie ihn so schwer, wie Lord Hiroshi verwundet worden ist. Dann wird er nur noch einen Gedanken haben: so schnell wie möglich zu den Ãrzten in Miyako zurückzukehren.«
»Aber wie komme ich an ihn heran?«, fragte Shigeko. »Er erscheint ja nicht auf dem Schlachtfeld, sondern lenkt seine Männer aus der Ferne.«
»Ich spüre ihn für Sie auf«, sagte Mai. »Ziehen Sie sich etwas Unauffälliges an und bereiten Sie den stärksten Bogen samt Pfeilen vor. Für Lord Hiroshi können Sie nicht mehr viel tun«, fügte sie hinzu, als Shigeko zögerte. »Er befindet sich jetzt in der Hand der Götter.«
Shigeko befolgte diese Anweisungen. Sie wickelte sich ein Stück Stoff um Kopf und Hals und beschmierte Stirn und Wangen mit Schlamm, damit sie unerkannt blieb. Sie nahm den Bogen, mit dem sie gekämpft hatte, spannte ihn neu und fand zehn frische, spitze Pfeile mit eisernen Widerhaken und Adlerfedern. Diese steckte sie in den Köcher. Während sie darauf wartete, dass Mai zurückkehrte, saà sie neben Hiroshi, und wenn sie ihm keine feuchten Umschläge machte oder ihm Wasser zu trinken gab, weil er nun wieder fieberte, versuchte sie, ihre Gedanken zur Ruhe kommen zu lassen, wie sie es in Terayama von Hiroshi und anderen Meistern gelernt hatte.
Lieber Lehrer, lieber Freund , rief sie ihm schweigend zu. Verlass mich nicht!
Die Schlacht flammte mit noch gröÃerer Leidenschaft wieder auf. DrauÃen erklangen wilde Rufe, die Schreie der Verwundeten, das Klirren von Stahl und das Donnern von Pferdehufen, doch rund um Shigeko und Hiroshi herrschte plötzlich Stille. Shigeko
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