Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
fühlte, wie sich ihre Seelen vereinten.
    Er wird mich nicht verlassen , dachte sie und ging, einem Impuls folgend, in ihr Zelt und packte den winzigenBogen und die Pfeile mit den Hououfedern aus. Diese steckte sie unter ihre Jacke, hängte sich den größeren Bogen über die linke Schulter, den Köcher mit Pfeilen über die rechte.
    Als sie zu den Verwundeten zurückging, war Mai wieder da.
    Â»Wo haben Sie gesteckt?«, fragte das Mädchen. »Ich dachte schon, Sie wären in die Schlacht zurückgekehrt. Kommen Sie, wir müssen uns beeilen.«
    Shigeko fragte sich, ob sie Gemba erzählen sollte, was sie vorhatte, aber als sie auf die Hügelkuppe trat und die Schlacht sah, wusste sie, dass sie ihn in diesem Getümmel niemals finden würde. Sagas Strategie schien nun darin zu bestehen, die Stellungen der Otori durch seine schiere Überzahl an Soldaten zu stürmen. Seine neuen Truppen waren frisch und ausgeruht. Die Otoriarmee hatte schon zwei Tage lang gekämpft.
    Wie lange halten sie noch durch? , fragte sie sich, als sie Mai um die Südseite der Ebene folgte. Der Anblick der vielen Toten hatte ihre Gefühle abgestumpft. Die Otori hatten ihre Toten und Verwundeten hinter die Front gebracht, aber Sagas Männer lagen dort, wo sie gefallen waren, und ihre Leichen hatten Anteil an all dem Schrecken und der Verwirrung. Verwundete Pferde versuchten, auf die Beine zu kommen. Eine kleine Schar von ihnen trottete lahm und zögernd nach Südwesten, die gerissenen Zügel schleiften durch den Schlamm. Shigeko, die ihnen kurz nachschaute, sah, dass sie kurz vor dem Feldlager der Otori stehen blieben. Sie senkten die Köpfe und begannen zu grasen, als befänden sie sich weitweg vom Schlachtfeld auf einer Weide. Ein Stückchen dahinter stand das Kirin. Während der letzten zwei Tage hatte Shigeko kaum einen Gedanken an das Tier verschwendet, und niemand hatte Zeit gehabt, ein Gehege zu bauen. Stricke um den Hals verbanden es mit den Spalieren der Pferde. Im strömenden Regen wirkte es verloren und mager. Ob es diese Prüfung und die anschließende lange Reise zum Mittleren Land überstand? Shigeko spürte plötzlich ein tiefes Mitleid mit dem Tier, das so allein und so weit fort von seiner Heimat war.
    Die zwei Mädchen bahnten sich einen Weg hinter die Felsen und Felsspitzen, die die Ebene umgaben. Hier war der Lärm der Schlacht gedämpfter. Ringsumher erhoben sich die Gipfel des Gebirges der Hohen Wolken, die von einem Nebel verschluckt wurden, der wie Stränge ungesponnener Seide in der Luft hing. Der Boden war steinig und rutschig. Oft mussten sie auf allen vieren über große Felsen klettern. Manchmal ging Mai vor, winkte Shigeko, auf sie zu warten, und dann duckte sich Shigeko für eine Ewigkeit, wie ihr schien, in den Schutz irgendeines tropfenden Felsblockes und fragte sich, ob sie nicht längst in der Schlacht gefallen war und nun als Geist zwischen den Welten schwebte.
    Wenn Mai wieder aus dem Nebel auftauchte, wirkte auch sie wie ein Geist. Sie führte Shigeko wortlos weiter. Schließlich gelangten sie an einen großen Felsen, den sie wie Affen auf der Südseite erklommen. Zwei verkrüppelte Kiefern klammerten sich an seinen Gipfel, und ihre gebogenen, verrenkten Wurzeln bildeten ein natürliches Geländer.
    Â»Bleiben Sie geduckt«, flüsterte Mai. Shigeko kroch bis zu einer Stelle, von der sie durch die Wurzeln nach Osten bis zum Eingang des Passes sehen konnte. Sie keuchte auf und drückte sich flach auf den Felsen. Saga befand sich direkt vor ihnen. Er hockte auf einer ganz ähnlichen Felsspitze und betrachtete das Schlachtfeld aus der Vogelperspektive. Er saß in schwarz-goldener Rüstung auf einem schön lackierten Feldhocker unter einem Schirm. Sein Helm war mit einem goldenen Doppelgipfel verziert, der seinem Wappen entsprach, das auf den neben ihm flatternden schwarz-weißen Bannern zu sehen war. Mehrere seiner Offiziere, auch in prächtiger Rüstung und trotz des Regens sauber, umringten ihn. Außerdem gab es noch einen Muschelhornbläser und Läufer, die jederzeit Botschaften überbringen konnten. Direkt hinter ihm bildete eine Reihe herabgestürzter Felsbrocken eine natürliche Treppe hinunter zum Pass. Männer, die über den Stand der Schlacht Bericht erstatteten, eilten sie herauf und hinab. Shigeko konnte sogar Sagas Stimme hören und merkte, wie wütend er

Weitere Kostenlose Bücher