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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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war, sagte er: »Dies musst du Lady Shigeko persönlich übergeben. Sag ihr, dass es mir leidtut. Ich wünschte, die Dinge lägen anders, aber ich vertraue ihr die Drei Länder an.«
    In all den Jahren an Takeos Seite hatte Minoru kaum je seine Gefühle offenbart. Er schien die Pracht des Kaiserhofes und die Grausamkeit der Schlacht mit ähnlicher Gleichgültigkeit aufgenommen zu haben. Nun versuchte er mit verzerrter Miene, die Tränen zurückzuhalten.
    Â»Sag Lord Gemba, dass ich zum Aufbruch bereit bin«, sagte Takeo. »Leb wohl.«
    Die Regenfälle hatten spät eingesetzt und waren nicht so heftig wie sonst. Jeden Nachmittag kam ein kurzer Sturm auf und der Himmel war meist bedeckt, aber die Straße war nicht überflutet, und Takeo war dankbar für all die Jahre, in denen man die Überlandstraßen der Drei Länder ausgebaut hatte. So kamen sie rasch voran. Allerdings standen Zenko die gleichen Straßen zur Verfügung und Takeo fragte sich, wie weit dessen Armee schon von Südwesten vorgedrungen war.
    Am Abend des dritten Tages überquerten sie den Pass bei Kushimoto und hielten bei der Herberge am Eingang des Tales, um etwas zu essen und sich kurz auszuruhen. Yamagata war nur noch einen knappen Tagesrittentfernt. Die Herberge wimmelte von Reisenden. Der örtliche Gutsherr erfuhr von Takeos Ankunft und eilte herbei, um ihn zu begrüßen. Während Takeo aß, berichteten ihm dieser Mann, Yamada, und der Wirt alle Neuigkeiten, die sie gehört hatten.
    Angeblich befand sich Zenko in Kibi und stand kurz davor, den Fluss zu überqueren.
    Â»Er hat mindestens zehntausend Mann«, sagte Yamada düster. »Viele sind mit Feuerwaffen ausgerüstet.«
    Â»Gibt es Neuigkeiten von Terada?«, fragte Takeo in der Hoffnung, dass die Schiffe einen Gegenangriff auf Zenkos Schloss in Kumamoto beginnen könnten und seinen Gegner auf diese Weise zum Rückzug zwängen.
    Â»Angeblich hat Zenko Schiffe von den Barbaren bekommen«, erzählte der Wirt. »Sie beschützen den Hafen und die Küste.«
    Takeo dachte an seine erschöpfte Armee, die noch zehn Tagesmärsche entfernt war.
    Â»Lady Miyoshi rüstet Yamagata für eine Belagerung«, sagte Yamada. »Ich habe bereits zweihundert Männer dorthin geschickt. Deshalb sind wir hier schutzlos. Die Ernte steht kurz bevor und die meisten Yamagatakrieger sind mit Lord Kahei im Osten. Die Stadt wird von Bauern, Kindern und Frauen verteidigt werden.«
    Â»Aber jetzt ist Lord Otori da«, sagte der Wirt, um allen wieder Mut zu machen. »Solange er bei uns ist, kann dem Mittleren Land nichts Schlimmes widerfahren.«
    Takeo dankte ihm mit einem Lächeln, das seine wachsende Verzweiflung verbarg. Die Erschöpfung sorgte fürein paar Stunden Schlaf. Dann wartete Takeo rastlos und ungeduldig auf den Anbruch der Dämmerung. Die Nächte waren mondlos und zu dunkel zum Reiten.
    Sie waren noch nicht lange unterwegs und ritten in schnellem Trab, der den Pferden am leichtesten fiel, als sie kurz nach Tagesanbruch Hufgetrappel in der Ferne hörten. Alles war grau und still, und die Berghänge hatten ihre großen Nebelbanner gehisst. Zwei Reiter näherten sich im Galopp aus Richtung Yamagata. Takeo erkannte im einen den jüngsten Sohn Kaheis, einen ungefähr dreizehn Jahre alten Jungen. Beim zweiten handelte es sich um einen alten Gefolgsmann des Miyoshiclans.
    Â»Kintomo! Was ist passiert?«
    Â»Lord Otori!«, keuchte der Junge. Offenbar stand er unter Schock, denn sein Gesicht war aschfahl und die Augen unter dem Helm schauten verwirrt drein. Sowohl Helm als auch Rüstung waren zu groß für ihn, denn er war noch nicht ausgewachsen. »Ihre Frau, Lord Otori …«
    Â»Sprich weiter«, befahl Takeo, als dem Jungen die Stimme versagte.
    Â»Sie ist vor zwei Tagen nach Yamagata gekommen, hat den Befehl übernommen und will die Stadt an Zenko übergeben. Er ist auf dem Marsch von Kibi.«
    Kintomo erblickte Gemba und sagte erleichtert: »Mein Onkel ist da!« Erst in diesem Moment begann er zu weinen.
    Â»Und deine Mutter?«, fragte Gemba.
    Â»Sie hat versucht, mit unseren wenigen Männern Widerstand zu leisten. Als die Sache immer hoffnungsloser wurde, hat sie mir gesagt, ich solle losreiten, solange mir dies noch möglich sei, um meinem Vater und meinen Brüdern Bericht zu erstatten. Ich glaube, sie wird meinen Schwestern und sich

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