Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
für Lord Shigeru und die Otori getan hast. Ich stehe tief in deiner Schuld«, sagte Takeo bewegt.
    Â»Ich bin froh, dass wir diese Gelegenheit zum Reden haben«, fuhr sie fort, »denn wir müssen uns auch über die Zwillinge unterhalten. Ich hatte gehofft, meinen Onkel zu etwas befragen zu können, das kürzlich passiert ist. Aber vielleicht weißt du ja, wie man damit umgehen kann.«
    Shizuka erzählte ihm von dem Vorfall mit der Katze, die eingeschlafen und nicht mehr erwacht war.
    Â»Ich wusste, dass Maya diese Gabe besitzt«, sagte sie, »denn die ersten Anzeichen dafür waren schon im Frühling erkennbar. Ein paarmal wurde sogar mir schummerig, als sie mich angeschaut hat. Aber mit dem Kikutaschlaf kennt sich kaum ein Muto aus, obwohl es viele Aberglauben dazu gibt.«
    Â»Er gleicht einer hochwirksamen Medizin«, erwiderte Takeo. »Eine kleine Dosis ist heilsam, doch eine zu starke Dosis kann töten. Schwache Menschen oder solche mit zu wenig Selbstbeherrschung sind empfänglich dafür. Mir hat man in Matsue beigebracht, die Gabe zu kontrollieren – und ich habe erfahren, dass die Kikuta ihre Kleinkinder niemals direkt anschauen, weil diese dem Blick hilflos ausgeliefert sind. Ich nehme an, eine junge Katze ist ähnlich wehrlos. Ich habe es nie bei einer Katze ausprobiert, nur bei Hunden – und zwar bei ausgewachsenen.«
    Â»Hast du je davon gehört, dass zwischen dem Toten und demjenigen, der ihn eingeschläfert hat, eine Verbindung hergestellt worden wäre?«
    Bei dieser Frage spürte Takeo ein unbehagliches Prickeln im Nacken. Inzwischen regnete es wieder und das Trommeln auf dem Dach wurde lauter.
    Â»Normalerweise ist es nicht der Schlaf, der tötet«, sagte er vorsichtig. »Er setzt nur außer Gefecht. Der Tod tritt aus anderen Gründen ein.«
    Â»Das hat man dir beigebracht?«
    Â»Warum fragst du?«
    Â»Ich mache mir Sorgen um Maya. Sie zeigt Symptome von Besessenheit. So etwas hat es unter den Muto schon gegeben, wie du weißt. Kenji wurde als junger Mann der ›Fuchs‹ genannt. Angeblich war er vom Geisteines Fuchses besessen – man behauptet sogar, er hätte eine Füchsin zu seiner ersten Frau genommen –, aber von meinem Onkel abgesehen ist mir seit längerem nichts mehr von irgendwelchen Verwandlungen zu Ohren gekommen. Maya erweckt den Eindruck, als hätte sie den Geist der Katze eingesogen. Alle Kinder sind wie Tiere, aber je älter sie werden, desto menschlicher sollten sie sein. Bei Maya ist das Gegenteil der Fall. Mit Kaede kann ich nicht darüber reden. Shigeko scheint schon etwas zu ahnen. Ich bin froh, dass du wieder da bist.«
    Er nickte, tief beunruhigt von dieser Neuigkeit. »Deine Enkel scheinen keine Stammesfähigkeiten zu besitzen«, bemerkte er.
    Â»Nein, und das ist eine Erleichterung. Sie sollen einfach Zenkos Söhne sein, Krieger. Kenji hat immer behauptet, die Gaben würden nach zwei Generationen verschwinden. Vielleicht erleben wir bei den Zwillingen das letzte Aufflackern einer erlöschenden Lampe.«
    Ein letztes Aufflackern kann groteske Schatten werfen , dachte Takeo.
    Niemand störte sie bei diesem Gespräch. Die ganze Zeit horchte Takeo halb bewusst auf Atemzüge, das Knacken von Gelenken, den leisen Tritt, der einen Lauscher verriet, ob eine seiner Töchter oder einen Spion, aber er hörte nur den Regen, den fernen Donner und die ablaufende Flut.
    Doch als sie ihr Gespräch beendet hatten und er durch den schimmernden Flur zu Kaedes Zimmer ging,vernahm er vor sich einen außergewöhnlichen Laut, eine Art Knurren und Fauchen, halb tierisch und halb menschlich. Dann kreischte ein Kind ängstlich auf und man hörte das Trappeln von Füßen. Als Takeo um die Ecke bog, stieß er mit Sunaomi zusammen.
    Â»Onkel! Verzeihen Sie mir!« Der Junge kicherte vor Aufregung. »Der Tiger will mir an den Kragen!«
    Als Erstes erblickte Takeo die Schatten, die sich hinter dem Wandschirm aus Papier abzeichneten. Kurz sah er eine menschliche Gestalt und dahinter eine mit angelegten Ohren, gespreizten Krallen und peitschendem Schwanz. Im nächsten Moment schossen seine Zwillingstöchter um die Ecke, und obwohl sie fauchten, waren sie einfach nur Mädchen. Als sie ihn erblickten, blieben sie wie angewurzelt stehen.
    Â»Vater!«
    Â»Sie ist der Tiger!«, schrie Sunaomi.
    Miki sah das Gesicht, das ihr Vater

Weitere Kostenlose Bücher