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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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ihrer Pferde.
    Der Hengst wieherte erneut und eines der Fohlen antwortete wie ein Echo, das den Vater herausforderte.
    Â»Ich müsste reisen auf der Suche nach Pferden«, sagte Yusuke. »In den Drei Ländern werden wir eine Zeit lang keine finden. Die Pferde des Westens sind zu klein und zu langsam und die Tohan helfen uns bestimmt nicht.«
    Â»Früher sprach der Vater oft von den Pferden der Steppe«, sagte Hiroki. »Hat Vater sich nicht immer gewünscht, zum Festland zu reisen und sich dort umzuschauen?«
    Â»Die Pferde vom Rande der Welt«, murmelte Yusuke. »Wilder als Löwen, schneller als der Wind.«
    Â»Bring uns welche als deinen letzten Dienst für die Otori«, sagte Shigeru.
    Yusuke schwieg lange. Als er wieder sprach, klang seine Stimme, die zuvor so fest gewesen war, gebrochen. »Es scheint, als hätte ich mein Beerdigungsgewand zu früh angezogen. Ich werde Ihnen gehorchen, Lord Shigeru. Ich werde leben. Ich werde an den Rand der Welt gehen und Pferde zurückbringen.«
    Die Tränen, die er zuvor nicht vergossen hatte, liefen ihm jetzt über die Wangen.
    Â»Verzeihen Sie mir.« Er wischte sie mit dem weißen Ärmel weg. »Das ist die Trauer, der ich zu entkommen hoffte. Es ist weitaus schwerer und schmerzhafter zu leben als zu sterben.«
    Takeshi sprach sehr wenig, aber als sie gingen, murmelte er seinem Bruder zu: »Lord Mori hat Recht. Es ist schwerer zu leben.«
    Â»Um meinetwillen musst du leben«, entgegnete Shigeru.
    Â»Ich würde mir das Leben nehmen, wenn du es befiehlst. Wenn du mir sagst, ich soll es nicht tun, muss ich dir wohl gehorchen. Aber es kommt mir so schändlich vor.«
    Â»Wir gehorchen unserem Vater, darin liegt keine Schande. Und vergiss nie, es wird nicht für immer sein.«

KAPITEL 36 

    Moes Ängste steigerten sich mit dem Wachsen des Kindes. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben. In der Stadt war allgemein bekannt, dass Shigerus Onkel sich über die bevorstehende Geburt nicht freuten. Es gab Gerüchte über Pläne, Mutter und Kind zu vergiften, Shigeru und Takeshi zu ermorden, durch Hexerei und Zaubersprüche Moes Tod herbeizuführen. Der Winter war ungewöhnlich kalt, die Schneefälle kamen früh und dauerten bis in den dritten Monat, der Wind heulte aus Nordwesten, er brachte eisige Temperaturen und frostige Schneestürme mit. Nahrungsmittel und Feuerholz wurden knapp, Holzkohle war kaum zu bekommen. Der Boden war hart wie Stein gefroren und unter dem Gewicht der Eiszapfen brachen Dächer und Bäume.
    Trotz Shigerus Bemühungen im vergangenen Sommer hatte die Ernte unter der Niederlage und ihren Folgen gelitten. Nahrungsmittel waren kaum mehr zu bekommen, Bettler strömten in die Stadt, wo sie auf den Straßen vor Hunger oder Kälte starben. Moe wagte nicht, aus dem Haus zu gehen, ihr schien, der Tod lauere überall auf sie und ihr Kind. Sie fühlte sich selten sicher – außer in den innersten Räumen des Hauses, wo Chiyo bei ihr saß, ihr zur Entspannung Schultern und Beine massierte und ihr schöne Geschichten zur Zerstreuung ihrerÄngste erzählte über winzige magische Kinder, die aus Pfirsichkernen oder Bambusstämmen geboren wurden.
    Aber weder die Sicherheit des Hauses noch Chiyos Bemühungen konnten Moe letzten Endes beschützen. Ihre Niederkunft war überfällig, das Kind hatte eine schwierige Lage, sie hatte zu lange und doch ohne Erfolg Wehen. Sie schrie einen Tag und eine Nacht lang, doch vor dem Ende des nächsten eisigen Tags schwieg sie. Das Kind, ein Mädchen, gab keinen einzigen Schrei von sich, es starb zur selben Zeit wie seine Mutter und wurde mit ihr begraben.
    Der Tod der jungen Frau, die niemand besonders gemocht hatte, stürzte den ganzen Haushalt in tiefstes Leid. Die Sterbefälle waren unbedeutend – eine Frau, ein neugeborenes Mädchen – im Vergleich zu den vorausgegangenen, doch sie lösten eine fast untröstliche Trauer aus. Vielleicht hatten manche gehofft, das Kind verspreche ein neues Leben, einen neuen Anfang, und jetzt war ihnen sogar dieser kleine Trost versagt. Vielleicht begann die eigene Familie zu glauben, das Haus von Otori Shigeru sei verflucht.
    Shigerus Leid, in dem sich Reue und Bedauern mischten, war das schwerste und hartnäckigste. Wochenlang verließ er das Haus nur, um an den nötigen Zeremonien teilzunehmen. Er trank keinen Wein,

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