Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
aà sehr wenig und verbrachte lange Stunden in stiller Meditation, wobei er sich alles über seine Frau und das Zerrbild ihrer Liebe ins Gedächtnis rief, das sie aus ihrer Ehe gemacht hatten. Er erinnerte sich beschämt daran, wie sehr er ihren Tod gewünscht hatte. Er hatte sie aus seinem Leben entfernen wollen, wie man eine Mücke totschlägt â sie hatteihn irritiert, mehr noch, sie hatten einander gehasst, aber sie hatten beieinandergelegen, um das Kind zu zeugen, das sie getötet hatte. Sie waren beide auf diesen Pfad gezwungen worden, sie waren Mann und Frau, ihre Heirat hatte den Zweck gehabt, legitime Kinder zu produzieren. Niemand konnte ihm zur Last legen, seiner Frau ein Kind geschenkt zu haben. Es war Aufgabe der Frauen, Kinder zu bekommen.
Das war seine erste Erfahrung mit der Gefährlichkeit und den Schmerzen der Geburt. Er wusste, wie sehr Moe das befürchtet hatte. Obwohl er von dem Zimmer ferngehalten worden war, hatte er doch ihr Entsetzen und ihr Leiden mitbekommen. Es erstaunte und bestürzte ihn, dass Frauen so etwas aushalten mussten. Sie trugen das ganze Ergebnis der männlichen Begierde nach ihrem Körper, sie gingen an den Rand der Welt und brachten Söhne und Töchter zurück. Und häufig kamen sie selbst nicht wieder, sondern wurden trotz ihres Kampfes ums Ãberleben in die Dunkelheit gezogen, ihre jungen, zarten Körper wurden auseinandergerissen.
Shigeru träumte oft von seiner Tochter, einmal sehr lebhaft von ihrem Körper in der Erde: Als der Frühling die kalten Glieder wärmte, sprossen blassgrüne Pflanzen wie junger Farn aus ihnen hervor.
Sowohl Akane wie Moe waren ihm geschenkt worden. Um Akane hatte er gebeten und sie bekommen, Moe war ihm zugeführt worden. Und jetzt waren beide mit wenig mehr als zwanzig Jahren tot. Häufig dachte er über alles nach, was Akane ihn gelehrt hatte. Er wünschte, er hätte ihr gesagt, dass er sie liebte, hätte seine Liebe für sie blühen lassen, statt sie zu leugnen. Er wünschte, er hätte seine Frau geliebt, dass sie sich ihm willig und leidenschaftlich hingegeben hätte, weil sie ihn liebte. Vielleicht, wenn sie weitergelebt hätten ⦠Aber sie waren beide gegangen. Er würde sie nie mehr sehen.
Sein Gram wurde durch die Sehnsucht noch verstärkt. Nach ein paar Wochen sorgte Chiyo mit ihrer gewohnten Pragmatik dafür, dass die eine oder andere Dienerin noch blieb, nachdem sie das Bett ausgebreitet hatte, doch Shigeru brachte es nicht über sich, sie zu berühren. Er sagte sich, er würde nie mehr mit einer Frau schlafen.
Der Frühling kam spät, doch mit umso gröÃerer Kraft. Die südlichen Winde mit ihrer sanften Wärme waren nie so willkommen gewesen, der Himmel hatte nie so tiefblau geleuchtet, noch hatten sich die neuen Blätter so strahlend grün von ihm abgehoben. Als die Tage länger wurden, überwand Shigeru seine Trauer. Er erkannte, dass er im Clan zwar keine bestimmte Rolle mehr spielte, aber immer noch gebraucht wurde, um dessen Wiederkehr zu planen. Wenn er sein Leben neu gestalten konnte, dann gelang das auch dem Otoriclan.
Beim Meditieren hatte er viel über die Zukunft nachgedacht. Nie würde er den Vorsatz aufgeben, Sadamu herauszufordern und zu töten, seines Vaters Tod und seines Clans Niederlage zu rächen. Um das zu erreichen, musste er ihn ganz geheim halten, das war ihm klar. Die Welt sollte glauben, er habe sich zurückgezogen, er sei nicht mehr als ein Bauer. Er würde harmlos und untadelig sein und geduldig warten, solange es sein musste, dabei aber hoffen und beten, dass sich eine Gelegenheit bieten werde.
Er fing an, diese Rolle zu Hause zu üben. Er verzichtete zum Missfallen seiner Mutter auf alle Förmlichkeiten im Haus, begann alte, einfache Kleidung zu tragen und beschäftigte sich mit dem Garten und dem Gut seiner Mutter. Er sprach mit jedem, der zuhörte, über Experimente in der Landwirtschaft, wann die Regenzeit kommen werde, wie man am besten Raupen, Motten und Heuschrecken bekämpfe. Solche Arbeiten waren offensichtlich nötig, weil das ganze Land im vergangenen Winter gelitten hatte und die Vorratslager fast völlig leer waren. Den Leuten entging nicht, dass Shigeru sich um den Wiederaufbau des Landes kümmerte, damit sie wieder etwas zu essen hatten, während Shoichi und Masahiro in Saus und Braus im Schloss lebten, die Residenz vergröÃerten
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