Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Anerkennung für die Voraussicht des Mannes und in der Tapferkeit seiner Frau und Töchter den Beweis für den Wert ihrer Erziehung.
Nicht alles wird für immer verloren sein, versprach er still. Ich werde es wiederherstellen.
Er dachte unaufhörlich daran und begann sich über eine Strategie Gedanken zu machen. Am wichtigsten würde das Bündnis mit dem Westen sein, mit den Arai und den Maruyama, das wusste er. Der Anschlag auf sein Leben hatte ihm ebenfalls Ideen eingegeben. Iida hatte versucht, ihn im Herzen seines eigenen Landes zu schlagen. Könnte er nicht auf ähnliche Weise zurückschlagen? Könnte er sich dazu durchringen, auf ein Attentat zurückzugreifen? Würde der Stamm je für ihn arbeiten, wie Kenji das einmal angedeutet hatte? Konnte er sich das leisten?
Ein paar Tage vor Vollmond lieà er das Pferd in Misumi zurück und ging zu Fuà in die Berge, wobei er wissen lieÃ, er wolle die Wälder im Hochland inspizieren und einige Zeit zurückgezogen verbringen, um für die Seelen der Toten zu beten. Niemand schien das zu bezweifeln. Sein Ruf war bereits gefestigt: Er interessierte sich für die Landwirtschaft, er war frommer als die meisten und legte groÃen Wert darauf, den Toten die gebührende Ehrerbietung zu erweisen.
Die Westgrenze des Mittleren Landes zog sich durch ein schmales Tal zwischen zwei steilen Bergketten. Weiter im Süden war die Grenze von den örtlichen Lords bewacht, die Steuern und Zollgebühren auf Güter und Handelsware erhoben, und Spione behielten die Reisenden genau im Auge. Shigeru hatte eine schriftliche Vollmacht seines Clans, dass er reisen konnte, wohin er wollte, doch ihm lag nichts daran, seine Reisen öffentlich zu machen, deshalb plante er stattdessen im wilden Bergland, im Quellgebiet des Flusses, der bis ins nördliche Hagi floss, die Grenze zu überschreiten.
Er kannte den Bezirk an den unteren östlichen Hängen einigermaÃen von seinem früheren Besuch bei Eijiro, als sie in die Berge geritten waren und Eijiro ihm die verschiedenen Bäume gezeigt hatte, die für Bauholz bestimmt waren: Zeder und Kiefer, Zelkove, Paulownie und Zypresse. Aber sobald er über der Baumgrenze schmalen Wegen auf steinigen Klippen folgte, befand er sich in unbekanntem Land und suchte seinen Weg am Tag mit Hilfe der Sonne und nachts nach den Sternen. Das Wetter blieb gut, Tag für Tag war der Herbsthimmel wolkenlos, während die Blätter ihre Farbe wechselten und die Wälder mit einem Rot färbten, das sich vom Gipfel bis zu den tieferen Hängen ausbreitete.
Shigeru hatte sich Proviant mitgebracht, auÃerdem aà er, womit ihn das Land versorgte: Kastanien, Haselnüsse und Maulbeeren. Anfangs fand er in einigen Nächten Unterkunft in abgeschiedenen Bauernhäusern, doch so hoch in den Bergen gab es keine mehr und es war zu kalt, um im Freien zu schlafen, also wanderte er die Nacht hindurch, während der Mond zunahm.
Er stieg den ersten Hang hinab und überquerte den Fluss. Das Gebiet schien verlassen, nirgendwo ein Zeichen der Besiedlung, kein Rauchgeruch. Der Fluss war hier schnell und flach, kaum mehr als ein Bach, und plapperte fröhlich mit sich selbst, während er über die Steinblöcke sprang. Shigeru schlief am Mittag ein wenig, von der Sonne gewärmt, doch am Abend bemerkte er Anzeichen einer Wetterveränderung. Der Wind drehte nach Nordwest, Wolken sammelten sich am Horizont. Shigeru kam durch einen Pass und schaute vom höchsten Felsen nach Norden bis zur Küste. Das Meer war ein stumpfvioletter Fleck am Horizont unter dem grauen Himmel. Er wusste, dass er nach Oshima schaute, zu der Vulkaninsel, doch er konnte ihre Form nicht erkennen. Zu seiner Linken senkte sich der Berg sanfter zum fruchtbaren Land des Westens, das vom »schwarzen Strom« der Küste gewärmt und von seinen Bergen geschützt wurde. Fern im Westen lagen Stadt und Schloss von Maruyama. Harada hatte ihm gesagt, der Schrein, den sie besuche, sei weniger als eine Tageswanderung vom Pass entfernt. Shigeru betrachtete den Wald unter sich. In der Ferne hing Rauch im Tal, doch sonst gab es kein Zeichen der Besiedlung, kein Dachbogen zeigte sich im tiefen Grün. Auf dieser Seite des Bergeszögerte der Herbst noch, sein Kennzeichen auf die Bäume zu legen. Nur einige Ahornbäume auf den höchsten Hängen hatten bereits angefangen, sich zu färben.
Gerade vor der Dämmerung
Weitere Kostenlose Bücher