Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
hereinkommen. Ich werde ihm meine Sammlung zeigen.«
Chiyo sah erfreut aus, denn sie hatte ihn schon mit vielen düsteren und merkwürdigen Geschichten versorgt.
»Er kann Ihnen wahrscheinlich ein paar eigene Geschichten erzählen«, sagte sie im Hinausgehen. »Wenn er nicht selbst eine Erscheinung ist.«
Nach der BegrüÃung betrachtete Kenji die Sammlung von Schriftrollen und fragte: »Worin bist du so vertieft?«
»Das ist meine Sammlung von übernatürlichen Geschichten, verhexten Orten und so weiter«, antwortete Shigeru. »Chiyo glaubt, du könntest dazu beitragen.«
»Ich kann dir ein paar grässliche Sachen erzählen, aber das sind keine Geschichten â obwohl Geister und ihre Herren darin vorkommen.« Kenji lachte. »Sie sind alle nur zu wahr.«
»Geschichten vom Stamm?«, fragte Shigeru. »Das wäre eine interessante Bereicherung.«
»Bestimmt!« Kenji musterte ihn aufmerksam. »Warst du unterwegs?«
»Nur die Küste entlang. Ich reise gern â und jetzt habe ich dieses neue Steckenpferd â¦Â«
»Ja, eine hervorragende Ausrede!«
»Du bist zu misstrauisch, mein lieber Freund«, sagte Shigeru lächelnd.
»Ich reise auch gern. Wir sollten einmal zusammen unterwegs sein.«
»Gern.« Shigeru wagte es hinzuzufügen: »Es gibt viel, was ich gern von dir lernen würde.«
»Ich werde alles, was ich weià und was dir hilft, an dich weitergeben«, erwiderte Kenji und fuhr ernster fort: »Ich kann dir auch etwas vom Stamm erzählen. Ich weiÃ, dass wir dich interessieren. Doch alle unsere Geheimnisse zu enthüllen ist unmöglich. Ich bin eine der zwei wichtigsten Personen im Stamm, aber das würde selbst mich das Leben kosten!«
Shigeru hätte Kenji zu gern über die Geliebte seines Vaters befragt, die Kikutafrau und ihren Sohn â was war aus ihm geworden, hatte er Kinder, lebte er noch? â, aber er erinnerte sich, dass sie seinen Vater gebeten hatte, nie davon zu sprechen. Der Stamm hatte nichts von dem Verhältnis gewusst. Vielleicht war das besser so.
»Hast du Neuigkeiten für mich?«
»Bestimmt hast du von Iidas Sohn gehört.«
Shigeru nickte. »Hat das Iida verändert?«
»Es hat ihn vorübergehend ruhig gestellt. Aber dass er jetzt einen Erben hat, wird ihn anstacheln, die Tohanländer und seine neuen Gebiete zu konsolidieren. Meine Nichte fragt übrigens oft nach dir.«
Chiyo kam mit Weinkrügen, Bechern und Tabletts mit etwas zu essen zurück. Shigeru goss Wein ein, Kenji leerte seinen Becher auf einen Zug. »Arai hat anscheinend immer noch Hoffnungen auf ein Bündnis gegen Iida.«
»Alle solche Gedanken habe ich aufgegeben«, sagte Shigeru gleichgültig und trank langsamer. »Shizuka hat Arai und mich verraten«, fuhr er fort. »Es überrascht mich, dass er sie am Leben lässt.«
»Arai ist nicht so schlau wie du, ich glaube nicht, dass er sie je verdächtigt hat. Wenn ja, dann muss er ihr verziehen haben, denn sie haben wieder einen Sohn.«
»Sie haben Glück.«
»Nun, Kinder sind immer willkommen«, sagte Kenji. »Zenko wurde im Jahr der Schlacht geboren, er ist jetzt zwei. Der jüngere heiÃt Taku. Aber Arai wird im kommenden Jahr verheiratet und das macht Shizukas Stellung unsicherer.«
»Vermutlich wirst du dich um sie kümmern.«
»Natürlich. Und Shizuka kann mehr als jede andere Frau, die ich kenne, für sich selbst sorgen.«
»Aber ihre Söhne müssen sie verletzlich machen«, sagte Shigeru. »Wer ist Arais Braut?«
»Die Tohan haben sie ausgesucht. Niemand von Bedeutung. Arai ist immer noch in Ungnade.«
»Ich auch?«, fragte Shigeru.
»Iida glaubt, dass du harmlos geworden bist. Im Moment fürchtet er dich nicht.« Kenji schwieg, als überlege er, ob er sagen solle, was er dann sagte: »Im vergangenen Jahr war dein Leben in einer gewissen Gefahr, aber diese Gefahr ist jetzt nicht mehr so groÃ. Wenn Iida etwas für dich empfindet, dann ist es Verachtung. Er spricht häufig davon. Er nennt dich sogar den Bauer!«
Shigeru lächelte innerlich.
»Natürlich versteckt der kluge Falke seine Krallen«, sagte Kenji.
»Nein, mir hat man die Krallen gezogen, die Flügel gestutzt.« Shigeru lachte. »Und ich glaube, Sadamu hat die Falkenjagd aufgegeben.« Er erinnerte sich an
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