Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
leichten Ton. »Aber das kühlere Herbstwetter hat ihre Gesundheit wiederhergestellt.«
»Ja, das Wetter ist schön gewesen in letzter Zeit«, sage Naomi. »Ich habe so viel über dieses Gut gehört, war aber nie zuvor hier.«
»Mein Mann wird Lady Maruyama herumführen«, erbot sich Masajis sehr junge Frau nervös.
Masaji unterbrach sie. »Lord Shigeru ist der Landwirtschaftsexperte. Er hat sich immer mehr als alle anderen für diese Dinge interessiert. Und jetzt wird er der Bauer genannt.«
»Dann führt mich vielleicht Lord Otori morgen herum«, sagte Naomi. »Nach der Gedenkfeier.«
»Wenn Lady Maruyama es wünscht, gern«, antwortete er.
Die Feier fand in dem kleinen Schrein im Garten statt und Tafeln mit den Namen des toten Mannes und seiner Söhne wurden vor den Altar gelegt. Ihre Knochen lagen mit zehntausend anderen in der Erde von Yaegahara. Weihrauch stieg in der stillen Luft empor und vermischte sich mit den strengen Düften des Herbstes. Ein Hirsch rief im Wald und wilde Gänse schrien aus der Ferne, während sie den Himmel überflogen.
Shigeru hatte den vergangenen Abend und die Nacht zwischen reiner Freude über ihre Anwesenheit und Verzweiflung darüber verbracht, dass er sie nicht berühren, nicht umarmen, noch nicht einmal offen mit ihr reden konnte, ohne auf jedes Wort zu achten. Sie hatten einander kaum angesprochen, und wenn, dann in konventioneller Sprache über unwichtige Sachen. Als sie Gelegenheit hatten, zusammen durch die Felder zu gehen, immer noch in Sicht-, aber nicht in Hörweite, waren sie steif und befangen.
»Es ist lange her, dass wir uns gesehen haben«, sagte Shigeru. »Ich wusste nicht, dass du krank warst.«
»Ich war sehr krank. Wochenlang konnte ich weder essen noch schlafen. Ich hätte dir schreiben sollen, aber meine Krankheit nahm mir alle Zuversicht und ich wusste nicht, was ich dir mitteilen sollte, und noch nicht einmal, wie die Nachricht zu befördern wäre.«
Sie hielt inne, dann fuhr sie mit gesenkter Stimmefort: »Ich würde dich jetzt gern umarmen, mich hier mit dir ins Gras legen, aber diesmal ist das unmöglich. Doch ich habe jetzt mehr Hoffnung â ich weià nicht warum, vielleicht täusche ich mich â, ich glaube, wenn Iidas Sohn zu einem gesunden Jungen heranwächst und alles geregelt zu sein scheint, sehe ich keinen Grund, warum wir nicht heiraten könnten.«
Sie schaute zurück zum Haus. »Ich muss schnell sprechen. Ich weià nicht, wie lange wir allein sind. Morgen muss ich abreisen und wir haben vielleicht keine andere Möglichkeit mehr, ungestört zu reden. Ich bin entschlossen, die Frage mit meinen engsten Gefolgsleuten und den Clanältesten zu besprechen. Sie werden auf deine Onkel mit Versprechungen und Angeboten zukommen, die nicht abgelehnt werden können: Handel, Geschenke, Schiffe, vielleicht sogar einen Teil des Grenzlands. Die Arai werden dafür sein, ebenso die übrigen Seishuu.«
»Es ist mein einziger Wunsch«, entgegnete er. »Aber wir werden nur eine Chance haben. Wenn wir eine solche Bitte äuÃern, riskieren wir preiszugeben, was wir einander bedeuten. Wenn sie abgeschlagen wird, verlieren wir das wenige, das wir haben.«
Sie schaute vor sich hin und wirkte ruhig, doch als sie sprach, merkte er, dass sie kurz davor war, ihre Selbstkontrolle zu verlieren. »Komm jetzt mit mir nach Maruyama«, bat sie. »Dort heiraten wir.«
»Ich kann meinen Bruder nicht allein in Hagi zurücklassen«, sagte Shigeru nach kurzer Pause. »Ich würde ihn zum sicheren Tod verdammen. Und ein solcher Akt würde den Krieg auslösen â nicht nur auf einem Schlachtfeld wie Yaegahara, sondern überall in den Drei Ländern, in diesem lieblichen Tal, in Maruyama selbst.« Schmerzlich fügte er hinzu: »Ich habe schon eine schreckliche Schlacht verloren. Ich möchte keinen weiteren Krieg beginnen, wenn ich nicht sicher bin, dass ich ihn gewinne.«
»Du musst mir etwas über diese Feldfrüchte erzählen«, sagte sie schnell, denn Lady Kitano kam auf sie zu. »Aber zuerst möchte ich dir noch sagen, dass ich so glücklich bin für diese Gelegenheit, dich zu sehen, so schmerzlich es auch ist. Nur zu sein, wo du bist, erfüllt mich mit Freude.«
»Ich empfinde das Gleiche«, erwiderte er. »Und das wird immer so sein.«
»Nächstes Jahr
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