Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Domäne und über den gesamten Westen zu gewinnen. Iida bildete weitere Männer aus und bewaffnete sie und er zwang kleinere Familien, sich ihm zu unterwerfen, oder sie würden von ihm ausgelöscht. Die meisten ergaben sich, wenn auch widerstrebend. Aufstände gegen Iida gab es häufig bei Kriegern und Bauern, sie führten zu verstärkter Unterdrückung und Verfolgung und die Seishuu fürchteten zunehmend, dass er sich mit Gewalt nehmen würde, was er durch Heirat offenbar nicht gewinnen konnte.
Iida legte Wert darauf, Naomi immer persönlich zu empfangen, wenn sie nach Inuyama kam, sie mit groÃer Höflichkeit zu behandeln, mit Geschenken zu überhäufen, ihr zu schmeicheln und sie zu loben. Sie fand seine Aufmerksamkeiten widerlich, konnte ihnen aber nicht entgehen, ohne ihn zu beleidigen. Immer wenn sie ihre Tochter sah, war Mariko wieder gewachsen. Sie glich ihrem Vater, konnte nicht schön genannt werden, hatte aber seine Güte und Intelligenz und gab sich alle Mühe, ihrer Mutter Leid zu ersparen. Wenn sie in Gesellschaft war, sah es aus, als hätte sie sich in ihr Schicksal ergeben, doch heimlich weinte sie viel, bemühte sich, ihre Gefühle zu beherrschen, und bat ihre Mutter dafür um Verzeihung. Sie hatte Heimweh nach Maruyama, nach dem freundlicheren Klima dort und nach der Freiheit, die sie in ihrer Kindheit erlebt hatte. Obwohl Lady Iida sie gut behandelte, hatte Mariko wie alle Frauen im tiefen Schlossinneren immer Angst vor den plötzlichen Wutanfällen des Kriegsherrn und vor der Brutalität seiner Gefolgsleute.
Naomi verfeinerte die Kunst, ihre Gefühle zu verbergen, gefügig und gehorsam zu erscheinen, während sie ihrem Clan und ihrem Land Unabhängigkeit und Autonomie bewahrte. Sie würde niemandem eine Entschuldigung dafür bieten, sie zu töten oder zu verdrängen. Sorgsam und methodisch baute sie in ihrer Domäne und überall im Westen ein Netzwerk der Unterstützung auf. Sie reiste viel von einer Seite der Drei Länder zur anderen, im Frühling und Herbst gewöhnlich einigermaÃen glanzvoll mit ihrem ältesten Gefolgsmann Sugita Haruki und mindestens zwanzig bewaffneten Männernsowie ihrer Gefährtin Sachie und weiteren Frauen, gelegentlich weniger auffallend nur mit Sachie und einer Handvoll Männer. Oft ergab sich aus den Anforderungen der Regierung, dass Sugita ihr am besten dienen konnte, wenn er in Maruyama blieb.
Gelegentlich reiste sie über Shirakawa und Noguchi. Die Schwester ihrer Mutter war mit Lord Shirakawa verheiratet und zwischen den beiden Frauen gab es starke Bande der Zuneigung. Beide hatten Töchter, die Geiseln waren, denn die älteste Tochter der Shirakawa, Kaede, war ins Schloss der Noguchi geholt worden. Es gab Befürchtungen, das Mädchen werde dort nicht gut behandelt. Die Noguchi waren nicht nur Verräter, die Schuld an der Niederlage der Otori hatten, sie hatten auch den Ruf der Grausamkeit. Von Lord Noguchi hieà es, er versuche Iida zu beeindrucken, indem er ebenso brutal war wie dieser. Als Mariko elf wurde und Kaede dreizehn (und Tomasu in Mino vierzehn), besuchte Lady Maruyama das Schloss und war beunruhigt, als sie bei den Frauen im tiefen Schlossinneren keine Spur von dem Shirakawamädchen fand. Auf ihre Fragen waren die Antworten ausweichend, sogar abweisend, und ihre Ãngste verstärkten sich. Sie bemerkte Arai Daiichi unter den Wachtposten des Schlosses â obwohl sein Vater daheim in Kumamoto schwer krank war und er drei jüngere Brüder hatte, die ihm die Domäne streitig machen würden, hatte er nicht die Erlaubnis zur Heimkehr bekommen. Es sah aus, als würde er sein Erbe durch seine Abwesenheit verlieren, Iidas Strafe für seine Annäherungen an Otori Shigeru vor zehn Jahren, vor der Schlacht von Yaegahara.
Naomi war in einem der Häuser untergebracht, die Noguchi gehörten, aber vor den Schlossmauern standen. Es wehte ein leichter, warmer Wind, die Kirschblüten in den Gärten würden bald aufbrechen. Naomi war ruhelos, fast fiebrig. Der Frühlingsbeginn hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, ihre ganze Existenz erschien ihr unerträglich. Sie schlief schlecht, gequält von Begehren, Sehnsucht nach Shigerus Gegenwart, sie wusste nicht, wie lange sie dieses Halbleben noch durchhalten würde. Ihr ganzes Leben als erwachsene Frau schien sie in diesem unterprivilegierten Zustand verbracht zu haben,
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