Der Clan der Vampire (Venedig 1 & 2)
ein Mann sich ihr gegenüber nicht behaupten konnte, würde sie lieber gar nicht heiraten wollen. Außerdem war sie kaum einundzwanzig, und auch wenn ihre Aussichten auf eine Vermählung im Moment wegen ihrer ungestümen Art schlecht aussahen, hatte sie noch ihr ganzes Leben vor sich. Das hatte sie zumindest gedacht.
Drei Monate waren kein Leben.
Nach dem ersten Schock war sie allerdings fest entschlossen, trotz ihres Gehirntumors das Beste daraus zu machen.
Zuerst hatte sie versucht, zu beweisen, dass der Arzt unrecht hatte. Sie war in die Schweiz gereist – mitten in der Nacht und ohne eine Anstandsdame – und hatte einen anderen medizinischen Experten konsultiert. Aber die Antwort blieb dieselbe: Sie würde sterben.
Deshalb war sie jetzt hier, in Venedig. Nicht mehr, um die Meinung der Ärzte zu widerlegen, sondern um zu leben.
Sie hatte ihrer Familie das Ziel ihrer Reise verschwiegen. Sie wären entsetzt über so ein törichtes und skandalöses Verhalten gewesen und hätten sie niemals gehen lassen. Aber sie würde sich nicht aufhalten lassen. Viola hatte akzeptiert, dass sie sterben würde, aber eine Sache wollte sie noch erleben, bevor sie diese Welt verließ.
Sie wollte nicht als Jungfrau sterben.
Praktisch veranlagt wie sie war, wusste sie jedoch auch, dass ein Skandal ihrer Familie nicht dienlich wäre. Schon ihr plötzliches Verschwinden würde vertuscht werden müssen, wozu ihre übereifrige Mutter allerdings sicher fähig war. Sie würde einfach jeden wissen lassen, dass Viola zu einer älteren Verwandten aufs Land gereist war, um diese zu pflegen. Es gab genügend Tanten, Großtanten und Cousinen, aus deren Schar sie wählen konnte.
Viola hatte beschlossen, dorthin zu gehen, wo niemand sie oder ihre Familie kannte und ihr skandalöses Vorhaben keinerlei Schatten auf das Leben ihrer Eltern werfen würde. In einem Brief, den sie aus der Schweiz geschickt hatte, hatte sie erklärt, dass sich ihr Zustand so verschlechtert hatte, dass sie ans Bett gefesselt war. Sie hatte auch klar gemacht, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte und alle sie so in Erinnerung behalten sollten, wie sie vor ihrer Krankheit gewesen war.
Für den Fall, dass sie ihre Wünsche nicht respektieren würden, hatte sie ihnen einen Skandal in Florenz angedroht. Ihre Drohung würde sicherstellen, dass sich ihre Mutter an ihre Wünsche hielt und dass Violas Vater keine Versuche unternahm, sie zurückzuholen. Außerdem war ihre Mutter vermutlich froh, sie los zu sein. Schließlich war Viola nie in der Lage gewesen, den hohen Erwartungen ihrer Mutter gerecht zu werden. Jegliches eventuell vorhandene Wohlwollen ihrer Mutter hatte sie dadurch zerstört, dass sie den ersten und einzigen Verehrer, der es jemals gewagt hatte, ihr den Hof zu machen, abgelehnt hatte.
In drei Monaten, so hatte sie es arrangiert, würden ihre Eltern einen Brief erhalten, der sie über den friedlichen Tod ihrer Tochter informieren würde. Natürlich wäre es eine Lüge, denn sie würde sich ihr Leben schon viel früher nehmen. Sobald sie vollbracht hatte, wofür sie nach Venedig gekommen war.
Sie würde ihre Jungfräulichkeit verlieren und dann mit der Pistole, die sie in ihrer Tasche trug, ihrem Leben ein Ende setzen, bevor der Schmerz sie zu sehr schwächte. Sie hatte nicht die Absicht, einen langen und schmerzhaften Tod zu erleiden.
Viola glättete ihre Röcke und richtete ihren Umhang. Dann holte sie tief Luft und schob die schwere Eichentür auf.
Das Haus, das sie betrat, war eine Art Club. Entsprechend der Informationen, die sie eingeholt hatte, suchten in diesem überraschend sauberen Etablissement Herren nach weiblicher Gesellschaft. Es war zwar kein Bordell, doch viele der Frauen, die sich zu den Männern im Club gesellten, um fleischliche Freuden zu suchen, taten dies des Geldes wegen. Der Mann, der ihr den Weg zu diesem Etablissement gewiesen hatte, hatte ihr allerdings versichert, dass gelegentlich Frauen aus der besseren Gesellschaft hier anzutreffen waren, die die Art Ablenkung suchten, die ihre ehrenwerten Gemahle nicht bereit waren, ihnen zu gönnen.
Sie hoffte, dass der Mann recht hatte, und dass ihre einstudierte Geschichte glaubwürdig wäre. Nichts wollte sie weniger, als Aufmerksamkeit erregen. Es war schwer genug, ihre Scham zu überwinden und sich einem Fremden mit der Bitte zu nähern, sie zu Bett zu nehmen. Wieder weggeschickt zu werden, ohne ihr Ziel erreicht zu haben, wäre noch schlimmer. Denn die Männer im Club hatten eine
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