Der Clan der Wildkatzen
Mischlingswelpen einem hellroten Gummiball hinterher. Plötzlich hielten sie einen Moment lang inne und schauten sich an. Ein vorbeilaufender Dachshund stieß den Ball zum Rudel zurück und das Spiel begann von Neuem.
» Seltsam«, sagte der Dalmatiner zu dem älteren Labrador, als sie zum anderen Ende des Parks trabten. » Ich hätte schwören mögen, ein orangefarbenes Kätzchen habe mich gerade gestreift, aber es war nichts zu sehen.«
Der Labrador hob die Nase und schnüffelte. » Das gleiche Gefühl hatte ich auch, aber das Kätzchen hätte ja eine Duftspur hinterlassen müssen, und die einzigen Fährten, die ich riechen kann, sind uralt.« Der Gummiball sprang in ihre Richtung. Die beiden rannten auf ihn los und vergaßen den Zwischenfall.
Eine dahintrottende Kuh auf dem kleinen Markt wollte gerade ein Kohlblatt vom Stand eines Gemüsehändlers zupfen, doch dann zögerte sie kurz und kam ins Grübeln. Ganz bestimmt war da gerade ein Kätzchen auf ihren Rücken gesprungen und dann weiter die Straße entlanggehüpft, doch das Tier hatte keine sichtbare Spur hinterlassen. Die Kuh wandte sich wieder dem Stand zu, doch der Gemüseverkäufer hatte den Kohl außerhalb ihrer Reichweite gezogen. Gelassen schnupperte sie ersatzweise an einem weggeworfenen Ringelblumenkranz. Sie nahm das Leben, wie es kam, Kätzchen hin, Kätzchen her.
Abrupt hörten die Spatzen hoch oben in ihrem Nest auf dem Dachfirst vom Mausoleum auf zu zanken. Stattdessen duckten sich das Männchen und das Weibchen instinktiv, denn sie waren sicher, gerade ein orangefarbenes Kätzchen gesehen zu haben, das eilig über die bröckelnden Dächer des Mausoleums huschte. Aber von dem Raubtier war keine Spur zu sehen und ein oder zwei Minuten später ließ ihre Wachsamkeit wieder nach.
» Sunte, ich habe dir gesagt, du sollst ein bisschen höher bauen«, sagte die Spätzin.
Sunte schmollte. » Höher, immer höher, was willst du denn? Sollen wir die Milane anlocken, damit sie uns schnappen?«
Und bald war der Streit wieder in vollem Gange.
Mara hatte sich nun ausgestreckt und schien halb zu schlafen. Sie bemerkte die Katzen kaum, die sich in Scharen einklinkten– vom Schrein her, vom Markt, von den Dächern und aus den Gassen von Nizamuddin. Das Kätzchen ging über ganze Kolonien hinweg, über Brücken und Straßen, als wären sie nichts als kleine Pfützen auf dem Weg. Gleichzeitig stellte Mara fest, wie sich ihr die große Welt in flüchtigen Momentaufnahmen voller wunderbarer, verwirrender Farben, Geräusche und Gerüche eröffnete. Sie spürte, wie ihr das Senden immer leichter fiel. Fast schon automatisch grüßte sie die erstaunten Katzen, die sie fühlten oder vorbeiziehen sahen.
Katzen in Nizamuddin, beim Mausoleum, in entfernteren Bezirken und in den weit zerstreuten Kolonien von Delhi, deren Namen sie noch nie gehört hatte, empfingen ihr eiliges Grußzucken. Dreifarbige Katzen, Schildpattmusterkatzen, Rassekatzen, Streuner; Viertel, in denen die Katzen über riesige Rasenflächen streiften; Gegenden, in denen ihr Revier in bevölkerten, schmutzigen Nebenstraßen lag; die vernarbten Gesichter alter Kämpfer, blinzelnde Kätzchen, pelzige Katzenmütter; sie alle nahm Mara als fernes Hintergrundsummen wahr. Obwohl das Senden sie anstrengte, machte es ihr viel Spaß, denn es war gleichzeitig der längste und faszinierendste Spaziergang ihres bisherigen Lebens.
Auf einmal bebte das Fell an ihren Flanken, und Mara merkte, dass sich ihre Schnurrhaare aufrichteten und so heftig vibrierten, dass es fast unangenehm wurde. Die Luft schien zu knistern. Auf den Unterseiten ihrer Pfoten glitzerte Schweiß und ihre Krallen schoben sich reflexartig vor. Dem Kätzchen hing die rosa Zunge aus dem Maul, und es verzog das Gesicht, als Schnurrhaare und Fell zu zittern begannen.
Irgendwo dort draußen antwortete eine Familie von Katzen auf ihr Senden. Sie spürte, wie sie sich auf die Leitung stürzten, und zwar mit größerer Kraft, als sie für möglich gehalten hätte. In der Luft hing das tiefe Grummeln ihrer Verbindung, obwohl Mara sie noch gar nicht gesehen hatte. Der Schwanz des Kätzchens ging hin und her und die Haare an der Spitze plusterten sich alarmiert auf. Es war, als ob Maras Fell kräftig gebürstet worden wäre, und sie spürte die Gegenwart der fremden Katzen so intensiv, als hätten sie das Zimmer betreten.
Irgendetwas musste schiefgelaufen sein, dachte Mara. Langsam konnte sie die Katzen erkennen, die Gesichter leuchteten mit scharf
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