Der Clan der Wildkatzen
Abends ist er immer so, besonders wenn er beim Schlafen gestört wird.«
Rani leckte dem Tigerjungen liebevoll über den Kopf und sah dann wieder zu Mara. » Ich denke, ihr beide solltet euch einander vorstellen«, sagte sie.
Es ratterte an den Käfigstangen. Ozymandias knurrte und kam zurück. » Mein Nachwuchs lässt sich nicht mit gewöhnlichen Katzen ein, Rani, und damit basta… aua! Ah! Lass los!« Was Rani als Nächstes zu ihm sagte, konnte man kaum verstehen, da sie seinen Schwanz im Maul hatte, aber im Wesentlichen ging es darum, dass das Tigerjunge seit Monaten mit niemandem von seiner eigenen Spezies gesprochen hatte. Seit nämlich die Leoparden in andere Käfige verlegt worden waren, hatte er nur noch eine Horde Affen als Gesellschaft gehabt. Obwohl sie froh war, dass er sich so gut mit dem Affenjungen Tantara verstand, hatte sie keine Ahnung, warum Ozzy so ein Spielverderber war, wenn es um Katzen ging, zumal er selbst eine war, wenn auch von einer höheren Art. Außerdem schien dieses junge Kätzchen viel bessere Manieren zu haben als die Leopardenjungen, die so furchtbar unverschämt waren. Das sollte Ozzy auch einmal bedenken. Es erschien Rani zwar seltsam, dass das Kätzchen mitten in der Luft schwebte, aber sie war sicher, mit der Zeit würde es dafür schon eine Erklärung geben.
Während die großen Katzen weiterdiskutierten, beäugten sich das Tigerjunge und Mara gegenseitig– einer hinter den Käfigstangen, die andere von ihrem schwebenden Posten in der Luft. » Er heißt Ozzy, weil das die Abkürzung von Ozeem ist, und das ist die Abkürzung von Ozymandias«, erklärte das Tigerjunge.
» Das ist ein netter… ein eindrucksvoller Name«, sagte Mara. » Und wie heißt du?«
Das Tigerjunge tat überaus wichtig und seine Schnurrhaare stellten sich auf. » Ich bin«, sagte er und holte tief Luft, » Rudra DerGroßeUndMächtige, SohnDesOzymandias, KönigDerKönige, SiehDirUnsereZähneAnUndVerzweifele… aber du kannst mich Rudra nennen.«
» Das gefällt mir«, sagte Mara und lächelte ihn glücklich an. Vor Rudras Käfig surrten Kameras, als Großfüße Bilder von dem Tigerjungen machten, das so dicht am Gitter stand. Und in der Küche in Nizamuddin sahen die Großfüße lächelnd auf Mara herab, weil sie im Schlaf so süß zuckte und strampelte.
6
Das Verrammelte Haus
A us der Perspektive der Milane, die im Himmel über
Nizamuddin kreisten, boten die gepflegten Wohngebiete wenig Beute. Die ordentlichen Ränder der handtuchgroßen Rasenstücke, die sorgfältig beschnittenen Sträucher und die Reihen von Autos gewährten den kleinen Tieren, auf welche die Milane Jagd machten, wenig Verstecke. Weit interessanter war daher das Ende der Straße am Kanal und am Schrein, wo die Häuser zerstreuter lagen und zum Teil so verfallen waren wie die Ruinen des nahen Stufenbrunnens. Hier und auf den müllübersäten Ufern des Kanals boten sich gute Jagdmöglichkeiten, vor allem wenn man über scharfe Augen, Geduld und starke Krallen verfügte.
Tooth spannte die Flügel wie Segel aus Federn und erwischte eine Luftströmung, auf der er wie ein Spionagesatellit über seinem Revier hinwegzog. Mit fotografischem Gedächtnis nahm er alle Veränderungen seit seiner letzten Patrouille auf. Im Graben lag ein neues Verkehrsopfer– der zweite Mungo, den es in den letzten Tagen auf der Straße erwischt hatte, aber der Kadaver war schon zu verwest, um selbst für Tooth noch von Interesse zu sein. Stattdessen weckte ein Schatten seine Aufmerksamkeit: Das Raubtierhirn erkannte eine Ratte, die in einen Gully rannte, und ließ sofort wieder von ihr ab.
Tooths Bauch war mit einer Taube und Taubeneiern gefüllt, und eine Ratte war da als zweiter Gang nicht verlockend genug, um einen Sturzflug inklusive Töten anzugehen. Er schaute sich weiter um, und ihm fiel auf, dass die Spatzen, die in einem rostenden Auto nisteten, vertrieben worden waren. Eine kleine gefiederte Leiche lag auf dem Bürgersteig und Tooth sah die dünnen gelben Spritzer von einem zerbrochenen Ei. Er senkte kurz die Flügelspitzen. Er hatte nichts gegen eine Mahlzeit aus Spatzen, auch wenn die kleinen Knochen störten, doch er und die anderen Milane hatten gerade darüber gesprochen, dass die Zahl der kleinen Vögel stark abnahm.
» Das ist schlecht, ausgesprochen schlecht«, hatte seine Gefährtin Claw gesagt und ein altes Sprichwort zitiert. » Der Spatz ist zwar klein, doch wenn er verschwindet, wird’s mit allen vorbei sein.«
Eine
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