Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)
nie so schön und gemütlich waren wie die Höhlen, die er mit Donnerherz bewohnt hatte. Obwohl das Wetter langsam wärmer wurde, fror er an diesen einsamen Orten, ohne das tröstliche Dröhnen des gewaltigen Bärenherzens. Dieser Rhythmus hatte zu seinem Leben gehört wie das Pochen seines eigenen Herzens.
Nach einem kurzen Schlaf in einer Höhle weit nördlich von Donnerherz’ Winterbau brach Faolan wieder auf. Ein ganzer Mondzyklus war vergangen, seit die Bärin verschwunden war. Trotz der milderen Luft lagen immer noch Schneereste in dem Gebiet, das er jetzt erreicht hatte. Selbst die Bäume waren hier anders, wie er staunend feststellte. Bäume mit breiten Blättern waren hier kaum zu sehen. Es gab fast nur die Sorte mit den spitzen grünen Nadeln und den Zapfen, die Donnerherz so gern fraß. Ob er vielleicht schon in den Frostlanden angekommen war?
Da es hier kälter war, blieben Äste und Zweige auch länger froststarr. Während er sich einen Weg zwischen den eng stehenden Bäumen bahnte, blitzten die Nadeln vor winzigen Eiskristallen, die den Wald in einen blendenden Glanz hüllten. Manchmal lichtete sich der Wald und das Land wurde über weite Strecken vollständig kahl. Der Boden war von Flechten überwuchert, mit denen die Rentiere sich fettmästeten, wie Donnerherz ihm erzählt hatte. Entschlossen wanderte Faolan weiter.
Ein paar Nächte lang hörte er das Heulen von Wölfen. Zuerst geriet er ganz außer sich vor Freude. Aber das Heulen war anders als die Wolfsgesänge, die er in den Hinterlanden gehört hatte. Es klang kein bisschen melodisch und erschien ihm seltsam nichtssagend. Mehr wie ungehobeltes nächtliches Knurren. Dieses Heulen erinnerte ihn an den schrecklichen Moment, als er gespürt hatte, wie die Erde unter ihm erbebte. Damals hatte er gedacht, die ganze Welt sei von der Geiferseuche erfasst worden, vor der Donnerherz ihn immer wieder gewarnt hatte. Die Bärin hatte ihn gelehrt, sich vor jedem Tier mit schäumendem Maul in Acht zu nehmen. Ein solches Tier durfte er niemals jagen. Er musste ihm aus dem Weg gehen, selbst wenn es nur ein winziges Erdhörnchen war.
Faolan war jetzt überzeugt, dass er die Frostlande erreicht hatte, aber leider fing er keinerlei Bärengeruch auf. Er sehnte sich nach dem alten Sommerbau, wo die gelben Gletscherlilien wuchsen und die Steilufer mit blauer Iris übersät waren. Er träumte von jenen goldenen Sommermorgenstunden, als sie zusammen im Fluss geplanscht und Forellen gefischt hatten. Das alles erschien ihm jetzt so flüchtig und zerbrechlich wie die ziehenden Wolkenbilder, die er so gern mit Donnerherz betrachtet hatte.
Je länger die Tage wurden, desto leerer erschienen sie ihm. Überall setzte er seine Duftmarken, damit vielleicht Donnerherz ihn aufspürte, falls er sie nicht fand. Aber die Bärin kam nie. Trotzdem erlosch sie nicht in seiner Erinnerung. Faolan gab die Hoffnung nicht auf.
Doch das Leben ging weiter und er musste jetzt selbst für sich sorgen. Vor allem brauchte er Fleisch. Er musste fressen und fett werden, wie Donnerherz es ihn gelehrt hatte. Auch wenn er im Winter nicht schlief, musste er stark und fett sein, um die Kälte auszuhalten, wenn sie wiederkam.
Das Schlimmste aber war die Einsamkeit. Die Leere tief in seinem Inneren dehnte sich immer weiter aus, bis er sich nahezu hohl fühlte. Eines Tages kam er an einem Baum vorbei, der vom Blitz getroffen worden war. Der Stamm war völlig ausgebrannt. Nur ein tiefer schwarzer Schlund war übrig geblieben. Die Äste waren grau und kahl wie ein Knochengerippe. Gebannt starrte Faolan auf das Baumskelett. Und plötzlich wurde ihm bewusst, dass er genau wie dieser Baum war. Er stand noch, er lebte noch – und doch war er tot. Faolan ging weiter und die Leere folgte ihm. Seine sinnlosen Schritte brachten ihn Donnerherz kein bisschen näher.
Faolan hörte weiterhin das Heulen von anderen Wölfen, das ihm jedoch genauso nichtssagend erschien wie die ersten Male. Er fühlte keine Verwandtschaft mit ihnen. Sie hatten nicht mehr mit ihm gemeinsam als das Murmeltier, das er vor ein paar Nächten getötet hatte. Vielleicht hatte Donnerherz das gemeint, als sie gesagt hatte, dieser Ort sei für seine Art nicht gut?
In der Nacht jagte er am liebsten, aber die Nächte wurden immer kürzer. Als der Eiswald sich voll der Sonne zuneigte, verschwand die Nacht ganz, zusammen mit den letzten Überbleibseln des funkelnden Winterfrosts. Donnerherz hatte ihm auch davon erzählt. In den nächsten paar
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