Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)
Schnelligkeit. Und er sagte zu ihm: „Du bist ein würdiges Geschöpf. Dein Tod wird mich am Leben erhalten.“
Der Puma blickte in die grünen Augen des jungen Wolfs. Das Licht in seinen eigenen, bernsteinfarbenen Augen trübte sich. Dennoch flackerte etwas wie Verstehen darin auf, wie eine verschlüsselte Botschaft: Ich gebe dir die Erlaubnis, mein Leben zu nehmen. Möge mein Fleisch dich nähren und am Leben erhalten.
Faolan hatte gerade angefangen, die Flanke des toten Pumas aufzuschlitzen, als etwas im Gebüsch raschelte. Er hob den Kopf, aber nicht mehr in der Hoffnung, dass Donnerherz vor ihm stehen würde. Als er in die Augen des sterbenden Pumas geblickt hatte, war ihm klar geworden, wie falsch der Gedanke war, er könne Donnerherz’ Junges rächen, indem er den Puma tötete.
Die Wölfe traten aus dem Gebüsch. Die ersten Wölfe, die Faolan je erblickt hatte, abgesehen von seinem eigenen Spiegelbild im Flusswasser. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Sie sind wie ich und doch so anders! Faolan war größer, viel größer als diese Wölfe, obwohl sie älter aussahen. Sie wirkten schäbig, zottig und ungepflegt. Ihr Fell hatte kahle Stellen, die alte Narben preisgaben. Beide waren männlich, der eine dunkelgrau, der andere rötlich. Dem Rötlichen fehlte ein Auge. Die Gesichtshälfte mit dem fehlenden Auge war fast kahl. Die Klauenspuren darauf stammten von einem anderen Wolf, das sah Faolan sofort. Es drehte ihm den Magen um.
Lange silbrige Speichelfäden troffen von den dunklen Lefzen der beiden Wölfe. Immer näher rückten sie an Faolan heran, der knurrend über dem Kadaver stand. Eine Weile beäugten sie sich stumm und Faolan fielen mehrere Dinge auf. Die beiden fremden Wölfe schubsten und drängelten rücksichtslos, während sie auf den Kadaver zukrochen. Jeder von ihnen wollte als Erster zum Zug kommen. Obwohl sie den Puma gemeinsam verfolgt hatten, bildeten sie keine Jagdgemeinschaft, arbeiteten einander nicht in die Hände, wie Donnerherz und Faolan es getan hatten. Faolans Schnelligkeit und Donnerherz’ Bärenkräfte hatten sich perfekt ergänzt, wenn sie gemeinsam ein Rentier zur Strecke brachten. Die beiden Wölfe hier hatten keinerlei Strategie.
Ganz anders Faolan. Ihm schoss eine brillante Idee durch den Kopf. Sie wollen mein Fleisch, aber ich lasse es mir nicht wegnehmen. Sie müssen mit mir kämpfen, aber sie wissen nicht, wie man gemeinsam kämpft. Ihre Gier gibt mir die Chance, sie abzulenken.
Er riss einen Klumpen Fleisch aus dem Kadaver und warf ihn in die Luft. Die beiden Wölfe stürzten sich gierig darauf und purzelten in einem knurrenden, zappelnden Haufen auf den Boden. Faolan sprang kerzengerade in die Höhe und warf sich obendrauf. Ein lautes Knacken ertönte, dann ein Schrei. Die untere Körperhälfte des dunkelgrauen Wolfs verdrehte sich, ein abgesplitterter Knochen bohrte sich durch sein Fell. Der Aufprall hatte ihm das Rückgrat zerschmettert.
Der rötliche Wolf knurrte und wich zurück. Er schwang den Kopf herum, damit er mit dem gesunden Auge sehen konnte, das jetzt wild zwischen dem grauen Wolf, Faolan und dem Fleischklumpen hin- und herschoss.
Faolans Nackenfell sträubte sich, er hielt den Kopf hoch erhoben, seine Ohren waren steil nach vorn gerichtet. Drohend ging er auf den rötlichen Wolf zu. Der Wolf duckte sich und zog die Lefzen zu einer Angstgrimasse zurück. Dabei zuckte sein Auge immer noch zwischen dem Fleischklumpen und dem toten Wolf hin und her. Faolan knurrte ungeduldig und setzte zum Sprung an. Doch zu seiner Verblüffung lief der rötliche Wolf zu seinem toten Gefährten und schleifte den Kadaver ins Gestrüpp.
Faolan wusste, dass er von dem einäugigen Wolf nichts mehr zu befürchten hatte, aber sein Verhalten machte ihn neugierig. Warum schleppte der Rötliche den Kadaver des anderen Wolfs mit sich? Faolans Ohren schnellten nach vorn, als er das Reißen von Fleisch hörte. Das war doch nicht möglich! Leise schlich er an das Gestrüpp heran und spähte durch das Gewirr der dornigen Äste.
Der Kopf des rötlichen Wolfs steckte bis zu dem gesunden Auge im aufgeschlitzten Bauch des toten Wolfs. Gierig schlang er die Eingeweide hinunter. In seinem Blutrausch bemerkte er nicht einmal, dass Faolan ihn beobachtete. Als er endlich aufblickte, war sein Gesicht über und über mit Blut und glitschigen Eingeweiden verschmiert. In seinem Auge stand die nackte Gier. Mit flach angelegten Ohren wich der rötliche Wolf zurück – nicht weil er sich für
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