Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)
Mondzyklen würde es keine Nacht mehr geben, keine Dunkelheit – nur noch die Sonne.
Als die Nacht verschwand, nahm Faolan die Witterung eines Pumas auf. Pumas waren gefährlich. Donnerherz’ Junges war von Pumas getötet worden, kurz bevor sie ihn gefunden hatte. Es waren ziemlich große Raubkatzen, größer als Murmeltiere oder Vielfraße, und sie waren schnell und schlau. Donnerherz hatte ihm erklärt, dass er noch lange brauchen würde, bis er es mit einem Puma aufnehmen konnte. Aber Faolan fühlte sich inzwischen stark genug. Irgendwo in seinem Hinterkopf regte sich ein aberwitziger Gedanke, der ihn nicht mehr losließ. Wenn ich den Puma töten kann, dachte er, den Puma, der Donnerherz’ Junges gerissen hat, vielleicht kommt sie dann zu mir zurück.
Er war dem Puma den ganzen Tag auf der Spur, bis die Sonne irgendwann tief am Himmel hing. Endlos schwebte sie über dem Horizont wie ein wachsames goldenes Auge, das auf die Erde blickte. Genau wie ich , dachte Faolan, der dem Puma unermüdlich folgte. Die träge Sonne beflügelte ihn.
Der zweite Tag neigte sich schon dem Ende entgegen, als Faolan spürte, dass der Puma erlahmte. Er würde ihn tatsächlich einholen. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass er seinerseits verfolgt wurde. Noch nicht so lange, wie er dem Puma nachspürte, aber beharrlich und unbeirrt. Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm auf.
Faolan hatte eine Schnelligkeit des Denkens, eine Geistesgegenwart entwickelt, die es ihm ermöglichte, tief in Gedanken zu sein, ohne dabei seine Wachsamkeit zu verlieren. Aus dem Augenwinkel erhaschte er einen ersten Blick auf seinen Verfolger – einen lohfarbenen Fleck hinter einem Farngestrüpp, der ihm jetzt dicht auf den Fersen war. Doch Faolan ließ sich nicht von der Spur abbringen, geschweige denn zu einem überstürzten Angriff auf den Puma verleiten.
Jetzt sah er den Puma, der sich gerade mit einem Hasen niederließ. Er war ein wenig größer als Faolan, länger und geduckter. Dafür war er schmaler und seine Brust sah schmächtiger aus. Faolan hatte sich die ganze Zeit windabwärts gehalten, damit sein Geruch nicht zu dem Puma getragen wurde. Er hatte ihm so geschickt nachgespürt, dass der Puma nichts von seiner Gegenwart bemerkt hatte. Zugleich wusste Faolan, dass dem Puma noch zwei andere Wölfe auf der Spur waren. Die wollen auch sein Fleisch. Aber ich bin kein Rabe. Ich fresse keine Reste.
Faolan schlich sich an den Puma heran. Er war fast in Sprungweite, als ein plötzlicher Windwechsel der Raubkatze seinen Geruch zutrug. Er sah, wie die Nüstern des Pumas flatterten – und schon war die Beute fort. Aber Faolan gab nicht so leicht auf. Der Puma lief wie der Wind, schien kaum den Boden zu berühren. Doch Faolan hielt mit ihm Schritt. Ich werde dich töten und fressen. Ich werde mich an dem Fleisch mästen, das Donnerherz’ Junges verschlungen hat. Für Donnerherz! Mühelos jagte Faolan dahin. Das Geräusch seiner Schritte hüllte ihn ein, berauschte ihn. Der gewaltige Herzschlag der Bärin, das rhythmische Dröhnen, wurde zu seinem. Vor ihm tauchte ein lichtes Waldstück auf. Er hatte den Puma fast eingeholt, als die Raubkatze sich auf einen Baum hinaufflüchtete.
Ein Bild blitzte in Faolans Geist auf. Die baumhohe Gestalt von Donnerherz, die sich unter der blendenden Sonne aufrichtete. Hellgrüne Blätter, die die letzten Strahlen der Sonne einfingen, während sie zu Boden flatterten. Faolan sprang, wie er es mit Donnerherz geübt hatte. Er sprang so hoch, dass der Puma einen seltsamen Laut ausstieß, eine Mischung aus Fauchen und Schreien. Es war ein Schreckensruf. Faolan hatte die Fänge in die Pfote der Raubkatze geschlagen und zerrte sie von dem Ast herunter.
Der Puma war so benommen vor Schreck, dass er nicht schnell genug reagierte. Blitzschnell hieb Faolan die Zähne in den Hals des Pumas, direkt unter den Kiefer, in die Ader, die das Lebensblut durch den Körper pumpte und die er durchtrennen musste, um die Beute zu töten. So hatte Donnerherz es ihn gelehrt. Der Puma zuckte zweimal, dann sackte er zusammen.
In Faolan regte sich ein Instinkt, der ihn selbst überraschte. Er nahm die Fangzähne aus der Kehle des Pumas und legte den Kopf auf den Boden, sodass er direkt in die Augen der sterbenden Raubkatze sehen konnte. Sekundenlang starrten sie einander an. In diesem Moment dachte Faolan nicht an Donnerherz. Er sah jetzt in dem Puma nicht mehr den Mörder eines hilflosen Bärenjungen. Er dachte nur an seine Anmut und
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