Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)
seine Tat schämte, sondern aus Angst. Er glaubt, ich will sein Fleisch!
Faolan wandte sich ab und ging zu dem Puma zurück. Er hatte nur einen Gedanken: Ich muss fressen, damit ich fett werde. Und stark. Noch stärker als jetzt. Er würde seine Kräfte brauchen – mehr als jemals zuvor. Was war das nur für eine raue Welt?
Mit vollgefressenem Bauch irrte der rötliche Wolf durch ein Labyrinth von Gerüchen. Eine dumpfe Angst trieb ihn vorwärts. Noch nie hatte er eine Kreatur wie den silbernen Wolf mit der gespreizten Pfote gesehen. Einen Wolf, der so groß und stark war und eine so mächtige Brust hatte. Die gespreizte Pfote sah zwar nicht besonders groß aus, war aber äußerst kräftig. Zum Glück war der graue Wolf über ihm gewesen, sonst wäre ihm an seiner Stelle das Rückgrat zertrümmert worden. Doch nun war er auf sich allein gestellt und ihn plagte die Angst. Er musste so schnell wie möglich eine andere Wolfsrotte finden, mit der er eine Weile umherziehen konnte.
Die Wölfe der Frostlande waren nicht wie andere Wölfe. Sie verstießen gegen alles, was normales Wolfsverhalten ausmachte. Sie waren roh und verkommen. Ihre Lebensweise war eine Beleidigung für die Werte und Traditionen der Hinterland-Wölfe. Diese Wölfe hier lebten gesetzlos, achteten keine der hochentwickelten Verhaltensregeln anderer Clans und Meuten und wurden daher als „Clanlose“ bezeichnet.
Begriffe wie Ehre und Treue existierten für diese Clanlosen nicht. Gier und Niedertracht waren die Triebkräfte ihres Handelns, Überleben ihr einziger Instinkt. Nachdem sie über Generationen hinweg in ungezügelter Wildheit gelebt hatten, waren sie völlig abgestumpft. Von den ausgeklügelten Jagdstrategien der Wolfsclans, die im Rudelgeist des Hwlyn , der nährenden Harmonie, miteinander lebten und arbeiteten, ahnten sie nichts.
Der einäugige Wolf – er hieß Morb – bildete darin keine Ausnahme. Er war durch den Fluss geschwommen, um das Blut des grauen Wolfs abzuwaschen. Wenn er sich einer neuen Rotte anschließen wollte und der Geruch von Wolfsblut an ihm haftete, würden die anderen Wölfe womöglich misstrauisch werden. Falls sie doch etwas rochen, konnte er sich vielleicht damit herausreden, dass er den Blutgeruch bei einem Craw aufgenommen hatte, einem Zweikampf auf Leben und Tod. Meist fand dieser Kampf zwischen Tieren unterschiedlicher Arten statt, zum Beispiel einem Vielfraß und einem Wolf, die von der Rotte eingekreist wurden. Es kam aber auch vor, dass zwei Wölfe miteinander kämpften. Die Wölfe einer Rotte arbeiteten nie zu Jagdzwecken zusammen, sondern einzig und allein, um sich an der Qual ihrer Opfer zu weiden. Ein Wolf, der einen solchen Zweikampf gewonnen hatte, genoss eine gewisse Berühmtheit, die jedoch nicht von Dauer war. Den Clanlosen fiel es schwer, Ereignisse für längere Zeit im Gedächtnis zu behalten.
Während sich Morb durch das Dickicht des Immergrünwalds hindurchwand, hatte er Faolans Geruch schon fast vergessen. Deshalb erkannte er die Duftmarke nicht, die ihm in die Nase stieg, als der Wind sich plötzlich drehte. Es war der Geruch des silbernen Wolfs, vor dem er sich so fürchtete. Doch der Geruch vermischte sich mit anderen Duftspuren. Morb nahm an, dass vielleicht eine Wolfsrotte irgendwo in der Nähe war. Bald darauf hörte er vereinzeltes Bellen und Heulen.
Ein Craw ! Dort war ein Craw im Gang, ein Zweikampf! Noch dazu ein richtig guter! Ein Moschusochse kämpfte gegen eine kranke alte Elchkuh.
Faolan glitt als lautloser Schatten dahin. Seine Pfoten waren weich wie Moos. Fasziniert beobachtete er, wie die Wölfe den Moschusochsen und die Elchkuh umzingelten und die beiden großen Tiere aufeinanderhetzten. Der Moschusochse hatte ein abgebrochenes Horn, das ihm vor der Nase baumelte und ihm die Sicht versperrte. Die Wölfe waren sichtlich berauscht von seiner Qual. Die Elchkuh hinkte schwer und brach schon halb in die Knie. Faolan sah ihr an, dass sie nur noch sterben wollte. In diesem Moment stürzte sich eine große, knochige Wölfin mit scharfen Fangzähnen auf die Elchkuh und biss und stieß sie, um sie zum Aufstehen zu zwingen. Das Ganze war so entsetzlich, dass Faolan der Atem stockte. Es war fast noch schlimmer als der Anblick des einäugigen Wolfs, der seinen toten Jagdgefährten verschlungen hatte.
Zitternd stand Faolan im Schatten, obwohl es nicht kalt war. Nicht nur sein Nackenfell, sondern jedes einzelne Haar an seinem ganzen Körper sträubte sich. Hätten ihn die
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