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Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)

Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition)

Titel: Der Clan der Wölfe 1: Donnerherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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das in der Bilderhöhle getan? Dort war er in eine Zeit vor der Zeit zurückgereist. Er dachte an die beiden Eulen, die nicht in dieselbe Zeit gehörten – die eine schoss in selbstmörderischem Tempo in den Krater hinunter, um die rätselhafte Glut zu bergen, die andere flog durch einen Flammenwall und hielt die Glutbröckchen in ihrem Schnabel.
    „Doch, das kann ich“, sagte Faolan leise. Oder etwa nicht? , fügte er im Stillen hinzu.
    „Zeit darfst du nicht als etwas Zählbares, als Abfolge, als Maß betrachten“, sagte Gwynneth. „Sieh zum Himmel hinauf. Der Mond ist jetzt in eine andere Nacht, in eine andere Welt fortgeschlüpft. Nicht die Zeit, in der er hier war, bleibt dir in Erinnerung, Faolan, sondern der Glanz in der Luft, die blauen Schatten, die die Bäume in diesem Licht werfen. Was du empfindest, ist nicht die Dauer, sondern die Schönheit des Mondlichts. Nur daran erinnerst du dich.“ Gwynneth hielt inne. „Was weiterlebt, ist der Wert der Dinge, ihre Beschaffenheit.“
    „Aber der Mond kommt morgen zurück. Und in der nächsten Nacht. Und jede weitere Nacht, nur Donnerherz nicht. Das … das ist …“, stotterte Faolan. „Das ist ungerecht.“
    Gwynneth plusterte sich zu ihrer doppelten Größe auf. Dann rückte sie so nah an Faolan heran, dass ihr Schnabel fast seine Nase berührte. „Wie kann ein edler Wolf so kleinliche, selbstsüchtige und dumme Gedanken hegen?“ Sie hob einen Flügel und schlug ihm damit auf den Kopf. „Und jetzt musst du fort. Geh zu den Wölfen!“
    „Ich weiß doch gar nichts über sie!“
    „Du weißt mehr, als du denkst!“, erwiderte Gwynneth. Ihre Stimme klang jetzt wieder sanft.
    „Kann ich dich besuchen kommen?“
    Gwynneth seufzte. „Ja, aber erst wenn du ein Rudel gefunden hast und Knochennager geworden bist“, sagte sie. Die weichen grauen Schatten kurz vor der Dämmerung verdichteten sich. „Ich muss jetzt schlafen. Es ist fast schon Frühstunde.“
    „Frühstunde? Was ist das?“
    Gwynneth gähnte schläfrig. „Frühstunde ist die Minute zwischen dem letzten schwindenden Fünkchen Nachtlicht und dem ersten rosigen Schimmer der Morgendämmerung. Wenn ich nicht schlafe vor diesem rosigen Dämmerungsschimmer, ist das nicht gut für mich.“
    „Dann schläfst du am Tag?“, fragte Faolan verblüfft.
    „Hmm-mmh.“ Gwynneth nickte mit halb geschlossenen Augen. „So ist es Brauch bei uns Eulen.“
    Faolan seufzte. Die Welt erschien ihm plötzlich sehr kompliziert. Eulen schliefen am Tag, Bären den ganzen Winter. Und Wölfe? Hatten die auch eine besondere Art zu schlafen?
    Das Feuer erkaltete. Der Tag wurde zusehends heller. Und wieder einmal sehnte Faolan sich verzweifelt danach, die Zeit zurückzudrehen. Vielleicht hatte Gwynneth Recht. Die Zeit war nicht wirklich messbar, jedenfalls nicht die schönen Momente, die er mit ihr im warmen Feuerschein unter dem funkelnden Sternenlicht verbracht hatte, eingelullt vom Knistern der Flammen, die in ihrem heißen Wind tanzten.
    Widerstrebend stemmte er sich vom Boden hoch. Mit Donnerherz’ Knochen zwischen den Zähnen trottete er davon. Noch nie hatte er sich so einsam gefühlt.

Nach vielen Stunden Schlaf spürte Gwynneth, wie die Welt dunkler wurde. Die Zwischenstunde nahte. Die hellen Schatten, die auf der Innenseite ihrer Augenlider tanzten, vertieften sich langsam zu einem dämmrigen Violett. Und obwohl sie noch schlief, regte sich etwas in ihr – eine sanfte Ankündigung, dass die Dunkelheit, die alle Eulen liebten, näher rückte. Während ihr Körper reglos in der Nische gegenüber der Esse verharrte, erhob sich ihr schlafendes Ich zu einem Traumflug. Keine Feder rührte sich und doch trug ein Windhauch sie zur Grenze zwischen Schlafen und Wachen. Genau in dem Moment, als die echte Dämmerung anbrach und die Sonne hinter dem Horizont versank, erwachte Gwynneth. Ihr erster Gedanke war: Ist er fort?
    Vorsichtig spähte sie aus ihrer Steinnische und trat in den Abend, wobei sie den Kopf in alle Richtungen drehte. Von Faolan keine Spur. Gut so. Doch in ihre Erleichterung mischte sich auch Traurigkeit: Sie war froh, wieder allein zu sein. Andererseits hatte sie die Gesellschaft des jungen Wolfs genossen. Er war ein liebenswertes, faszinierendes Geschöpf und die Zeichnung auf seiner Pfote ging ihr nicht aus dem Kopf. Immer wenn sie daran dachte, gab es ihr einen Stich in die Magengrube.
    Ein paar Minuten grübelte Gwynneth über das Spiralmuster nach, dann ritzte sie die Zeichnung mit einer

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