Der Clan der Wölfe 2: Schattenkrieger (German Edition)
ist der Knochen eines sehr kleinen Welpen, vielleicht zwei Tage alt.“
„Ja, das kleine Weibchen. Das Malcadh .“
„Was du nicht sagst, Gwynneth! Du übertriffst dich wieder einmal selbst. Und nicht nur dich, sondern auch meine eigenen bescheidenen Ergebnisse. Obwohl ich dich nicht gerade als Geistesleuchte bezeichnen möchte, scheinst du doch hin und wieder einen lichten Moment zu haben.“ Die Sark spähte in Gwynneths pechschwarze Augen. Maskenschleiereulen gehörten zu den wenigen Eulenarten, die keine gelben oder bernsteinfarbenen, sondern schwarze Augen hatten.
Gwynneth hatte so langsam das Gefühl, dass die Worte der Sark alles andere als schmeichelhaft für sie waren. Die Sark war ein wenig eingeschnappt, weil Gwynneth den ersten klaren Hinweis auf das Opfer entdeckt hatte.
„Es gibt Geschöpfe“, fuhr die Sark fort, „die vielleicht selbst keine Leuchten sein mögen, es aber meisterhaft verstehen, sich als solche auszugeben.“ Wenn die Sark beleidigt war, ließ sie sich gern zu hochtrabendem Geschwafel hinreißen.
„Soll ich mich etwa noch dafür bedanken, dass Ihr mir vorhaltet, keine Leuchte zu sein?“, erwiderte Gwynneth, so ruhig sie konnte.
„Oh, entschuldige“, rief die Sark ganz erschrocken. Wie hatte sie nur so taktlos sein können? „Tut mir leid, Gwynneth.“ Ihr schlechtes Auge huschte hektisch umher. „Das war nicht nett von mir. Du hast mir einen guten Knochen gebracht. Und sieh dir mal die Bissspuren an – als hätte ein sinnloser Sturm gewütet. Das spricht von Gewalt und Mord. Und es bestätigt, was du gehört hast. Aber warum ? Dieser Frage müssen wir nachgehen. Ich glaube, das bringt uns weiter als der rätselhafte Geruchswirrwarr, der hier herrscht.“ Die Sark blickte auf den Knochen hinunter. „Faolan können wir jedenfalls ausschließen. Er war bei mir in der Höhle, als der Mord geschah. Er kann nicht der Schuldige sein. Und weiter? Wir wissen, dass es ein Wolf gewesen sein muss. Das hast du mit deinem hervorragenden Gehör erkannt. Auch die Zahnabdrücke beweisen das. Sie gehen tief, viel tiefer als Fuchszähne. Ein Puma kann es auch nicht gewesen sein, weil die typischen Schlitzspuren fehlen. Aber die Gerüche sind zu chaotisch, als dass ich viel daraus ablesen könnte. Bis jetzt kann ich …“, sie kratzte ein paar Linien in den Boden, „also bis jetzt kann ich fünf verschiedene Wolfsgerüche ausmachen.“
„Fünf!“, wiederholte Gwynneth ungläubig.
„Ja, fünf. Einige davon sind direkte Hinterlassenschaften, wie ich es nenne. Andere sind indirekt hinzugekommen. Man kann sie auch als ‚ferner liegend‘ bezeichnen – Gerüche, die durch Kontakte mit einem der Hauptakteure aufgelesen wurden. Der Geruch des Malcadh ist natürlich eine direkte Hinterlassenschaft, genau wie der Geruch der Obea und der von Faolan. Aber unter diese drei mischen sich mindestens zwei fremde Geruchsspuren. Eine davon ist eine direkte Hinterlassenschaft, vermutlich vom Mörder. Aber die andere ist indirekt. Da bin ich mir ziemlich sicher. Außerdem sind diese beiden fremden Gerüche unauflöslich miteinander verbunden.“
„Dann könnt Ihr also nicht herausfinden, welches der Geruch des Mörders ist, Madame?“
„Nein.“
„Einer könnte ein Komplize gewesen sein“, überlegte Gwynneth.
„Wie wahr! Wie wahr!“ Das gute Auge der Sark leuchtete auf.
Bitte keine zweifelhaften Komplimente mehr! , flehte Gwynneth in Gedanken.
„Du hast Recht. Ein Komplize wäre denkbar. Ich muss diese Möglichkeit näher in Betracht ziehen“, verkündete die Sark.
Der größte Teil der Hinterlande war kahl und unwirtlich. Da das Land jahrtausendelang vereist gewesen war, wuchsen kaum richtige Wälder darauf. Die dünne, karge Erdschicht vertrug nicht viel Pflanzenbewuchs. Aber im Süden, an der Grenze zu den Hoole-Reichen, dehnten sich weite Grasländer aus. Und die Gräser sangen wirklich, wenn der trockene Südostwind hindurchfegte. Im Augenblick ging ihr Gesang jedoch im Bellen und Heulen der Gaddergladder unter, das den Gaddernag -Spielen entgegenfieberte. Alle Rudel aus allen Clans, auch die, die keine eigenen Knochennager hatten, nahmen daran teil. Es wurde bis tief in die Nacht gefeiert und über die Feinheiten der Gaddernock -Regeln geredet, was bisweilen in Streit ausartete. Die Skrielin der Clans heulten ihre Geschichten, dann erst begann der eigentliche Wettkampf. Das eindrucksvollste Schauspiel war jedoch die Ankunft des Fengo und der Taigas vom Kreis der Heiligen
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