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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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wusste schon, dass ich dich nicht halten könnte. Zerrissen wartete ich, um von dir aufgesammelt zu werden – kannst du mich zusammenfügen? Hörst du, wie ich pfeife? Weißt du, wie das klingt, ein gepfiffenes, trauriges »Hallo!?«? Von einem Kind, das gefunden werden will, sich aber nur zu flüstern traut?

Weißt du noch, wie wir uns im Winter beeilten, nach Hause zu kommen, wie fröhlich wir zeterten und zitterten? Wie du mir die Hand auf den Kopf legtest? Kühl war das. Ich machte die Augen zu und versuchte dich zu riechen und legte meine Wange an deine und grub meine Nase hinter dein Ohr. Wie rosa unsere Wangen waren, wenn wir aus der Kälte kamen! So wie jetzt. Ich rannte immer gleich aufs Klo und sah dir beim Pinkeln zu, nahm dich in den Arm, noch bevor du deine Hose hochzogst. Wir hüpften ins Zimmer, machten Musik an und sprangen ins Bett, lagen ganz nah beieinander, ich konnte mein Gesicht in deinen Haaren vergraben, konnte den Arm um dich legen, mit meinen Lippen deinen Hals berühren und tief seufzen.

Wie wir im ersten Jahr in der Auguststraße in der Märchenhütte am Holzofen saßen? Draußen klirrend kalt, drinnen wohlig warm. Wie du mir immer geholfen hast, ich verstand nichts, du warst viel weiter als ich mit unserer Liebe. Wie wir auf der schmalen Holzbank hockten und Glühwein und Suppe verkauften, wie klein die Bühne war – weißt du noch, wie ich dem Wolf Lätzchen und Besteck reichen musste? Erinnerst du dich an Rotkäppchens Blick, als er sie frisst? Priester und Jungfrau, Jan.
    Wie wir in der Kostümwerkstatt Kaffee tranken? Wie ich dich filmte beim Arbeiten? Du trugst tiefgrüne Heels mit nachtblauen Strümpfen, das kleine Schwarze mit dem schmalen roten Gürtel, die Haare geflochten wie Ähren, und ich bin beinahe verrückt geworden, weil das so schön war, wie du Oberons Mantel anmaltest, und ich dachte, diese Anmut wirst du nie verstehen, die musst du atmen.

Wie ich durch das Werkstattfenster hereinkletterte, wenn ich Kostüme brachte? Wie wir mit Isa und Heike Stoffe einkauften? Wie wir durch die Gänge liefen und ich versuchte, dich durch die Stoffbahnen zu erahnen? Wie groß die Scheren waren? Oder in der Kantstraße bei Kumasch. Da gab es immer leckeren schwarzen Tee mit ganz viel Zucker.

Wie wir an die Ostsee gefahren sind, nach Usedom. Berlin war grau und du nicht gut gelaunt. Du hast Schuhe gekauft, ich gab dir etwas dazu – du weißt gar nicht, wie gerne ich das machte! Im Zug trafen wir das chinesische Pärchen. Ich redete wieder viel zu lange über Wirtschaft und Politik. Das fandest du langweilig, fingst zu lesen an, und ich versuchte es wieder gut zu machen – nur du warst noch da. Wir sind angekommen, es regnete, wir bauten unser Zelt auf und stritten uns deiner schlechten Laune wegen. Ich ging an den Strand und fotografierte Möwen. Du warst eine Möwe an diesem Abend. Du kamst zurück und hattest was gegessen, hattest wieder bessere Laune, wir wurden selbstironisch und es wurde gut.

Wie wir Fotos machten, wir beide ganz nackt. Wie du strahltest, weil du glücklich warst, mich glücklich zu sehen. Wie ich uns einen Sandwall baute. Ich trug nur meine dunkelgrüne Wollmütze, damit ich mir die Glatze nicht verbrenne. Dein bemützter Clown war ich. Der Himmel war blau, die Wolken flohen schnell, du solltest dich in Ruhe sonnen können. Wie wir ins Wasser gingen – du warst immer mutiger als ich, warst immer die Erste, die in das Kalte lief. »Komm rein! Es ist ganz warm, wenn man erst drin ist!«, hast du dann gerufen, und ich bin rein, und es war kalt, und es wurde warm, und wir waren zwei bare Körper, die im Klaren trieben. Ich schwamm zu dir, nahm dich in den Arm, wir liebkosten uns, mein Schwanz wurde steif, wir spielten, bis wir zitterten. Wir sind raus, trockneten uns ab und legten uns in die warme Sonne und den kühlen Wind. Wie wir nach dem Essen Fußball guckten. Das waren alles Leute so gar nicht wie wir. Ich mag Flaggen nicht, sagte ich. Wir schlenderten zum Zelt und dann zum Strand, um Himmel zu sehen. Wie viele Sterne das waren! Was für eine schöne Decke die Welt hat! Selbst die Himmel machen wir blind, sagte ich. Wie wir über die Menschen redeten, als ginge das alles uns gar nichts an. Wie wir uns wunderten. Wie ich dich ansah. Ich wusste ja, dass du die Eine bist. Erinnerst du dich an das Plakat, das ich zu Hause hatte, wo Im Wahnsinn enthüllt sich der Zustand der Welt draufstand? Du wolltest mich lange genug hier halten. Wie wir davon redeten,

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