Der Clown ohne Ort
wir uns trafen. Ich wurde wütend, weil alle verrückt waren und es nicht merkten, Mensch wollte, Mensch musste ich sein, »Ich muss mich verrücken«, sagte ich da, und du bekamst glasige Augen, das klang wie Abschied ich war doch noch gar nicht weg und ich dachte, ich sei ein Idiot. Du warst viel weiter als ich. Wir sprachen von Krieg, von unserer Schuld, dass wir nicht böse sein wollten, wir in der falschen Zeit lebten, es nicht schwer sei, etwas zu ändern. Wir müssen leiden, sagte ich dann, so sind die Menschen, und du wurdest traurig. Ich lachte dich an und sagte, dass wir doch uns haben. Du lächeltest scheu. Ich meinte, es wird sich was ändern, nur langsamer als nötig vielleicht, und du wurdest sauer und sagtest, ich solle mit diesem Weltuntergangszeug aufhören. Ich drückte dein Gesicht an meine Brust, die wurde atemwarm und weich, und ich lächelte, weil es süß war, wie du dich aufgeregt hast. Und ich wusste und schaute böse.
Wie wir morgens von Schwalben geweckt wurden? Wie wir bei offenem Fenster schliefen. Das war wie draußen. Wir konnten die Sterne sehen, weil ich ganz oben wohnte, weil das Bett auf Fensterhöhe lag. Wie ich an meinem runden Schreibtisch saß und raus in die Kollwitz in Platanen träumte, als ich bei Jan wohnte. Es war ein so wunderbares Haus – ich fühlte mich nicht wirklich wohl, weil es eben Jans Wohnung war und ich nur notgedrungen da wohnte, der Blume wegen. Seine Kinder waren so liebe. Abends saßen wir in der Küche auf alten Kinosesseln, rauchten und tranken und unterhielten uns über Gott und die Welt – Jan wusste über so vieles Bescheid und kannte so viele Witze –, dabei ging es ihm genauso schlecht wie mir. Das hast du nicht verstanden, das hast du nicht gewollt, du wolltest mich bei dir haben, nicht an die Welt verlieren. Ich aber musste mich verlieren, musste verloren werden, musste dich beschützen, vor dem Kommenden, Strahlenden, Tiefen, Schlund, Maske, Fratze, Nichts.
Wie wir einkauften. Ich wunderte mich über all die Sachen, die da rumstanden, wie das erste Mal, als ich noch Kind war und aus dem Grauen, Real Existierenden kam. Erschlagen von grellen Farben, Gerüchen und Lichtern kam ich nicht mehr raus aus dem Staunen. Und ich sah zum ersten Mal Litschi, fasste sie an und fragte, was das sei. Meine Großcousine kaufte mir welche und zeigte mir, wie man die isst. Du glaubst gar nicht, wie gut Litschi schmecken können. Du warst schnell genervt, weil du nicht verstehen konntest, wie ich mich über all das lustig und traurig machte, wie ich mich in Defätismus verlor und wieder alles in melancholische Fröhlichkeit tunkte, damit ich überhaupt etwas schmecke. Ich wunderte mich über die abstrusen Werbesprüche und fasste nicht, warum wir das alle glaubten, selbst wenn wir meinten, es nicht zu glauben – wir kauften ja alle das Zeug. Wie ich sagte, dass ich kein Fleisch mehr essen will, und du sagtest, dass ich wohl der Letzte wäre, der damit aufhören würde. Ich schaute dich verschmitzt an und aß dann wirklich weniger Fleisch, weil ich meinte, dass die Dinge nicht mehr ihre Ordnung hätten. Ich erzählte dir, wie meine Tante weinte, wenn wir vor Weihnachten das Sommerschwein abtaten, wie Schweine schreien, wenn man sie tötet, dass sie diesen schrecklichen Blick haben, wie ein Kind, das von seinen Eltern geschlachtet wird und das nicht versteht. Wie ich dir erzählte, dass dieses Fleisch anders schmeckt, weil man weiß wie und man weiß wofür und man weiß woher und man weiß wer, ein bisschen auch warum und man weiß, man ist grausam. Wie wir die Verbindung zur Erde verloren, wie wir in Bildern leben, wie wir vergessen haben, einfach zu sein und nicht nur zu wollen, wie uns das Mehr Mehr Mehr verschlingt und nichts als ein kleines PAFF übrig lässt. Wir müssen das Meer leertrinken, um schwimmen zu können. Ich muss mich verrücken, um das zu können, sagte ich.
Weißt du, dass dein Name die Vollkommene heißt?
Wie wir mit deinem Bruder feierten? Wir sind zur Märchenhütte aufs Bunkerdach und sahen der Julisonne beim Aufstehen und uns beim Dösen zu. Wie ich das Sofa erst fand, als dein Bruder schon weg war. Klaus weckte mich, als du nicht mehr da warst, und fragte, ob mich meine Frau allein gelassen hätte. Ich sagte verschlafen nein, und du warst zwei Stunden später wirklich wieder da, als die Sonne gerade zu heiß wurde. Wir frühstückten in diesem kleinen französischen Restaurant am Rosenthaler. Im Winter hatten wir uns da gestritten,
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