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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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kaufte Tauben, weil du noch nie welche gegessen hattest. Die briet ich uns, mit Orangenfüllung und ganz viel Knoblauch, weil wir doch beide so gern Knoblauch essen, und etwas Rosmarin und Cayenne und Thymian und Olivenöl, wir kochten doch nur mit Olivenöl; die waren wirklich lecker und mir war gut, weil du viel gegessen hast.

Wie ich dich Tante Tini vorstellte. Die war fünf Jahre in Kriegsgefangenschaft gewesen, war nur mit sechs Fingern und fast taub und fast still zurückgekommen und hatte trotzdem Klavierspielen gelernt. Tinitante, die zu uns sagte, wir hätten uns gut gehalten, wir würden uns nicht mästen wie die meisten, das sei gut, das würde nämlich immer woanders fehlen. Ich fragte dich, ob ich asketisch esse. Du hast nein gesagt. Ein bisschen vielleicht, wenig und gut und nicht viel und schlecht eben. Wie du sagtest, dass ich ihr ähnlich sei, und ich fragte, warum, und du hast nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, ich weiß nicht, aber irgendwie seid ihr euch ähnlich. Ich wusste nicht, was du meinst. Tinitante hatte nämlich eine ganz andere Verbindung zur Welt, viel mehr, viel Schlimmeres gesehen und erlebt, war immer fröhlich und freundlich, tiefgläubig, verschroben in der guten Einsamkeit, wirklich gezeichnet, und auch das Kloster hatte die Jugend eines schönen Mädchens im Lager nicht retten können, außer dem Klavierspielen.

Als meine Eltern mich besuchten und anfingen, die Wohnung zu putzen. Ich stritt mich furchtbar mit ihnen, weil das meine Unordnung, weil das mein Dreck war, weil ich das so wollte. Ich kam vom Theater nach Hause, alles war sauber und aufgeräumt – die Fenster sahen wie frisch gestrichen aus. Ich pflaumte sie an, wurde ausfallend, dabei fand ich das eigentlich gar nicht schlecht so, wie es aussah. Mutter hat still gelitten und Vater sagte: »Lass gut sein, Junge, wir wollten dir nur Gutes tun.« Ich stritt weiter, mit mir selbst, mit ihnen, weil ich sie für verantwortlich hielt, für alles und nichts. Dabei machte das keinen Sinn. Sie haben sich ja für uns Kinder aufgegeben, wie nur Eltern das können. Ich raste. Ich wollte mich fallenlassen, musste alle Verbindungen kappen; sie machten es schwer, mit ihrer fordernden Liebe. Wie Vater fragte, wie ich antwortete, ich müsse leben. Und Vater sagte, weit weg, verträumt, das würde so oder so passieren, schneller, als mir lieb sei. Und ich dachte, so passiert mir das nicht, nicht mir, wie ich erklärte, das sei keine Wissenschaft mehr, die Universitäten seien tot, es gebe nur noch Fachhochschulen, dass es keine Menschen mehr gebe, nur noch Bilder, dass es konsequent sei, aufzubrechen, sich zu verweigern, weil die Freiheit mit der Welt komisch geworden sei, und »Ihr habt doch nicht dafür eine Revolution gemacht, Vater, damit das wieder in einem Riesenknall endet!«, sagte ich. Dass vieles gut gewesen sei, hier, im Westen, am Anfang, dass einiges gut gewesen sei, dort, im Osten, am Anfang, dass jetzt nichts mehr gut sei mit uns allen, dass wir als junge Generation verzweifelten, weil wir zufrieden sein mussten hier, nur dass wir uns selbst auffraßen, um fetter zu werden, dass wir lernen sollten, im Trockenen zu schwimmen, dass gerade die Chance vergeben, das Bunte beschmutzt würde, dass das ein Plan sei, sich zu wundern, das andere zu verstehen und zurückzukommen und das Gute zu retten. Und Vater war wieder weit weg. Und du sagtest nichts, saßt da und schwiegst in dich, als würdest du beten.

Wie wir im Alten Museum saßen. Ich meinte, die Bilder gefallen mir nicht, weil zu pompös, gewaltig, dass ich die Impressionisten und Expressionisten und Mondrian und Malewitsch lieber mochte, und Rothko, wo ich immer in die Bilder einsteigen könne, als warte dahinter eine andere Welt. Ich hielt Enttäuschen für eine schöne, moderne Parabel. Ich mag Rothko, sagte ich, besonders seine letzten Bilder, die düsteren. Du sagtest, dass dir die Brücke besonders gefiele, und ich, dass ich den Pont Japonais auch ganz toll fände, und du, dass du das nicht meintest. Ich schaute dich neckisch an, und du hast lapidar »Das war einer deiner Schlechteren« geflüstert.
    In der Fondation Beyeler, in dem Raum mit dem Bassin aux Nymphéas und dem Pont Japonais . Ich hätte da stundenlang sitzen können. Du bist aufgestanden. Ich sagte, ich komme nach, und saß noch eine Viertelstunde da und träumte mich weg, weil das mein liebster Museumsraum war. In der Außengalerie traf ich dich wieder, du hast gerade den Tüllinger und die

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