Der Clown ohne Ort
weil ich wieder weg war, in der Welt, weil du das alles nicht mehr ertragen hast.
Wie ich sagte, dass ich mit anderen Frauen schlafen wolle. Du sagtest, dass du nicht verstehst warum, wenn ich es unbedingt bräuchte, solle ich ruhig machen und alles erzählen. Und ich machte ruhig und erzählte alles. Ich war schon verloren, bevor wir uns trafen. Ich dachte, so sei die Welt. Du hast kloßig gefragt, warum das nicht mehr ginge, mit einer normalen Beziehung, warum das so schwer sei, sosehr man es auch versuche. Ich sagte, das sei Berlin, und wusste, dass das nicht ganz stimmte.
Wie wir bei deiner Mutter Plätzchen buken. Der Karamell brannte an. Dabei wollte ich dir besonders leckere backen und dann schmeckten die Dinger bitter. Deine Mutter lächelte nur und sagte, das sei gar nicht schlimm, Micha würde die schon essen, der mochte nämlich bittere Sachen. Hat er sie gegessen?
Weißt du noch, wie wir in der Bar waren? Die hatte gerade Dreijähriges. Im Circus schneite es Konfetti, Glitzer überall, in der Luft, auf dem Boden, in deinen Haaren. Auf der Bühne stand ein Engländer mit Melone und schrie zu elektronischer Musik unverständliches Zeug ins Mikro und ich dachte an die Theaterszene aus Der Meister und Margarita . Wir setzten uns hin, schauten uns das an, und ich kam zum zweiten Mal aus dem Real Existierenden. Wir nahmen eine Pille und tanzten bis in den Morgen, und ich sagte: »Das ist eine schöne neue Welt«, und wir wurden ganz kurz ganz still. Wir haben weitergefeiert, voller Wunder alles, die Menschen farbenfroh in ihren Seelen, wir ließen uns fallen und tranken viel Wasser. Lea rutschte von der Schaukel in die Spree und ging kurz nach Hause, sich umziehen, da wolltest du dich nicht mehr draufsetzen, da warst du vernünftig selbst im Rausch. Dieser grobe Typ war da – wie hieß der noch? –, du saßt die ganze Zeit bei ihm und ich wurde eifersüchtig. Der studierte in London, würde einen ganz heftigen Job haben, war ein so Lieber, wie du immer sagtest, und ging seiner Freundin ständig fremd und erzählte ihr nichts. Die suchten was, du wolltest auch gerne, doch sie fanden nichts, obwohl sie sonst jeden kennen, immer in fünf Minuten was kriegen würden. Hinter uns saß eine Gruppe Franzosen, ich schnappte ein paar Brocken auf und fragte, ob sie was hätten, und sie hatten was – plötzlich warst du stolz auf mich wegen meinem Französisch, weil das so viel schneller und einfacher funktioniert hatte. Ich wollte nach Hause gehen, aber nahm noch was, und es wurde gut, obwohl gar nichts gut war mit uns allen.
Wie wir in Mitte ausgegangen sind. Du hast dauernd Peter angerufen. Mit meinem Mobiltelefon hast du ihn dann erreicht. Wir sind zum Berghain. Die Schlange war zu lang. Wir gingen zum Ostbahnhof zurück, da standen wir da, zu dritt, und auf dem Weg sagte ich dir zum fünften Mal, dass ich jetzt nach Hause gehen wolle, und du meintest zum fünften Mal, nein, bitte bleib, ich will dich dabeihaben, und auf dem Bahngleis sagtest du zu Peter: »Aber der Typ läuft uns ja die ganze Zeit hinterher!« und hast auf mich gezeigt, im Affekt, und ich bin gegangen, taub, und ich wusste, dass deine Grausamkeit meine war, und ich war wieder weg und zum ersten Mal wirklich wütend.
Weißt du, wie es ist, wenn man weiß, dass man bald tot ist, und man will das so? Man strahlt bis über beide Ohren und man wird auf komische Weise eins mit der Welt. Ich gehöre ihr und sie gehört mir, weißt du? Man ist recht entspannt, schreitet frohgemut durch die Welt, lächelt nett Menschen an, und die Bäume kriegen ein anderes Grün und die Luft verflüssigt sich bunt, wie bei einem Sommerregen, wenn die Sonne durch die Wolken bricht und blendet, und man will platzen und alles kaputt machen, und weil das dumm ist, macht man sich selbst kaputt. Man strahlt aus der Welt heraus, von ganz tief innen.
Auch das ist Wahnsinn. Der befiel mich in dieser Nacht. Er war nicht reif. Es brauchte noch Zeit. Und ich habe dich geliebt. Weil du auch menschlich warst. Du hast dich nicht entschuldigt, nur erklärt, und alles war gut.
Der erste sonnige Frühlingstag war es, kühl noch. Wir setzten uns in den Monbijoupark und lasen uns aus Stille Tage in Clichy vor. Ich machte Fotos von dir, besonders von deinen Händen, wie sie das Buch halten, wie jetzt. Den ganzen Nachmittag saßen wir da und lasen, während ein Stromgenerator über der Oranienburger an einem Kranseil hing. Wir wurden hungrig und fuhren zum Markt am Kollwitzplatz. Ich
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