Der Club der Lust
was tue ich hier bloß?
Voller Schock bemerkte Natalie, dass sie sich am Küchentisch ihrer Schwester im Schritt rumspielte und dabei an Patti dachte. Sie wollte sie.
Sie fuhr hoch und warf dabei wieder ihre Kaffeetasse um. Ozzy sprang erschrocken vom Tisch und rannte mit einem empörten Fauchen aus dem Zimmer. Natalie war gerade noch geistesgegenwärtig genug, um ihr Handy vor dem Kaffee zu retten, doch für mehr reichte es nicht, denn all ihre Gedanken wurden durch die Tragweite dessen verdrängt, was ihr gerade klar geworden war.
Du liebe Güte, Nat! Sie ist deine Schwester!
Aber nur eine Halbschwester, flüsterte eine subversive, kleine Stimme. Und schließlich werdet ihr ja nicht rumficken und irgendwelche Mutanten-Babys produzieren.
Natalie schnappte sich die Liste und rannte raus. Sie rannte davon – wie gerade eben Ozzy – in eine zweifelhafte Sicherheit.
«Wieso gibt es in dieser verdammten Stadt bloß keine U-Bahn ?», murmelte Natalie vor sich hin und starrte auf Pattis Auto, das ineinem überaus teuren Parkhaus abgestellt war. Sicher, sie hätte auch zu Fuß in die Bibliothek gehen können, aber da heute Morgen alles gegen sie zu sein schien, entschloss Natalie sich, Patti um ihren kleinen roten Wagen zu bitten. Zwar hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihre Schwester zustimmen würde, doch die Alternative wäre gewesen, Dyson um eine Mitfahrgelegenheit in seinem Van anzubetteln – und das war sowohl peinlich als auch total unappetitlich.
«Ja … okay … nimm mein Auto … aber lass mich in Ruhe», hatte Patti unter ihrer Bettdecke gemurmelt, als Natalie reingekommen und ihr erzählt hatte, dass sie dringend in die Bibliothek müsste. Zu gerne hätte sie ihre Schwester ausgefragt, ob Whitelaw Daumery gestern Abend auch im
Fontayne’s
gewesen war. Doch Patti hatte geklungen, als ob sie noch eine ganze Weile im Bett bleiben wollte – und wenn man ihre sportlichen Höchstleistungen des gestrigen Abends bedachte, war das auch nicht weiter verwunderlich. Außerdem wusste Natalie noch von früher, wie schwer es war, ihre Schwester aus dem Bett zu kriegen. Aber vielleicht war sie auch einfach nur peinlich berührt und mochte Natalie noch nicht in die Augen schauen …
Hör schon auf, sagte die Journalistin zu sich selbst, schulterte ihren Mini-Rucksack und verließ schnellen Schrittes das Parkhaus. Wenn sie schon wieder anfing über gestern Abend nachzugrübeln, würde sie sich nicht konzentrieren und schon gar nicht etwas herausfinden können.
Vor dem Bibliotheksgebäude versuchte sie erneut, Alex zu erreichen, um sich die Recherche vielleicht doch noch ein wenig erleichtern zu können.
«Hallo, hier ist Alex Hendry, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht …»
«Blablabla! Mist!», zischte Natalie und drückte noch während der Ansage, die sie heute Morgen schon sechsmal gehört hatte, auf die Aus-Taste.
«Das ist ja ein schöner Journalist, wenn man ihn nie erreichen kann.»
Sie zog kurz in Erwägung, es noch einmal beim
Sentinel
direkt zu versuchen, hatte aber keine Lust, sich ein zweites Mal mit der dummen, zickigen Empfangsdame herumzustreiten, die sich heute Morgen schon einmal völlig quer gestellt hatte.
Vielleicht arbeitete er ja auch gar nicht so viel, wenn er Schmiergelder bezog. Und wieder kam ihr der Satz «Im Moment habe ich daran kein Interesse» in den Kopf. Auf wessen Gehaltsliste stand Alex wohl neben der vom
Sentinel
? Der Mann lebte viel zu gut, um mit dem Geld auszukommen, das ihm eine Provinzzeitung zahlte.
«Ach, der kann mich mal», flüsterte Natalie, während sie die Treppe zur
Redwych’s Belvedere-
Bibliothek hinaufging.
Trotz der langen Jahre der Abwesenheit, ihrem Selbstbewusstsein und auch ihren Leistungen hatte dieser Ort immer noch etwas an sich, das sie sich klein und sehr jung vorkommen ließ. Wahrscheinlich lag das an der riesigen Eingangshalle, der selbstgefälligen, neoklassizistischen Statue, die auf schwarzen Bodenfliesen stand, und den düsteren Farben der Vertäfelung. Außerdem war es trotz der Hitze des Tages kalt hier drin, und Natalie spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam, als sie sich umsah und überlegte, wo sie wohl anfangen sollte. Ganz offensichtlich hatte es seit ihrer Jugend einige Umstrukturierungen gegeben.
Als sie an der Information nach alten Ausgaben des
Sentinel
fragte, stellte sie schnell fest, dass die Mehrzahl des Bibliothekspersonals patzig wie immer war. War ich auch so?, fragte sich Natalie und versuchte
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