Der Code des Luzifer
Geringschätzung schwang in ihren Worten mit. So hätte auch die wirkliche Komtess gesprochen. Einer der Jungen trat einen Schritt vor. Er schien keine Waffe zu tragen, aber allein schon sein Gesicht war furchterregend.
Speichel glänzte auf seinen Lippen, als er sie in die Breite zog und seine spitzen Zähne zeigte. Sollte das ein Lächeln sein, oder sah er immer so aus?, fragte sie sich. Er kam noch einen Schritt näher, und jetzt lösten sich auch die anderen aus den Schatten. Eine Angst auslösende Phalanx.
»Wo ist der Junge?«
»Wer? Mein Enkel? Ich weiß es nicht. Er ist nicht hier. Wer seid ihr?«, fragte sie.
Lass dir deine Angst nicht anmerken. Gib keiner Drohung nach. Bleib standhaft. Stell dich der Gefahr. So hätte sich ihr Mann verhalten.
»Nicht der«, sagte der Hai. »Max Gordon. Er hat seinen Vater in England angerufen. Von hier aus. Das wissen wir.«
Wie konnten die das wissen? Sie schob den Gedanken beiseite. Ausdruckslos sah sie den Jungen an.
»Ich kenne keinen Max Gordon. Ihr solltet jetzt gehen. Mein Enkel und seine Freunde können jeden Moment nach Hause kommen. Und glaubt mir, mit denen solltet ihr euch besser nicht anlegen! Verschwindet!«
Sie rückten noch weiter auf sie zu. Unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück und stützte sich mit einer Hand auf die Lehne des großen, alten Sofas.
»Wir wissen, wo dein blöder Surfer-Enkel steckt. Der kommt nicht nach Hause.«
Die gefühllose Stimme traf sie wie eine Ohrfeige. Was hatten sie mit Bobby gemacht?
»Wo ist er?!«, rief sie.
Der Hai grinste sie mit seinen spitzen Zähnen an. »Wo ist Max Gordon? Er hat von hier aus seinen Vater angerufen. Oder warst du das? Wo ist er?«
Sie hörte das Klicken eines Springmessers und sah im Mondlicht die Klinge in der Hand eines der Jungen aufblitzen.
»Na, mach schon, Alte. Du sagst uns jetzt alles, was wir wissen wollen«, zischte der Hai.
Aus dem tiefsten Inneren ihres Herzens strahlte etwas Warmes durch ihren ganzen Körper. Sehnsucht nach ihrem Mann durchdrang sie. Er hielt sie fest, er beschützte sie, er stellte sich als unsichtbarer Schutzschild zwischen sie und die Mörder. Max Gordon würde sich, falls er es nicht schon getan hatte, diesen Verbrechern stellen und um sein Leben kämpfen müssen. Ja, sie konnten ihr wehtun und sie zum Reden bringen, das wusste sie. Aber sie würde ihnen nicht sagen, was sie wissen wollten. Sie würde diese Hunde nicht auf Max Gordon hetzen.
Ihr tapferer Mann, Soldat in Frankreichs Diensten, hielt sie fest umschlungen. Er flüsterte ihr seine Liebe ins Ohr und half ihr, sachte, ganz sachte einen Schritt rückwärts auf den verfallenen Balkon zu tun.
Mondlicht glänzte in ihren Augen. Das Krachen der Wellen dämpfte das Knacken und Knirschen der zerberstenden Holzkonstruktion.
Ihr letzter Atemzug war ein freudiger Seufzer.
Sie war sofort tot, als ihr Körper auf die Erde schlug.
16
S ayid ließ den Taxifahrer am Terminal vorbeifahren und eine Runde auf der Ringstraße des Flughafens drehen. Auf diese Weise wollte er feststellen, ob die Biker hier irgendwo in der Nähe lauerten oder ob auffällig viel Polizei unterwegs war.
Als er seinen Pass und das Flugticket aus der Tasche nahm, geriet ihm das Blatt Papier mit dem magischen Quadrat in die Finger, das sie in d’Abbadies Château gefunden hatten. Sayid hatte es in seine Jacke gesteckt, als sie von der Bibliothek ins Observatorium gegangen waren. Was sollte er damit machen? Falls man ihn festnahm und durchsuchte, konnte dieses Papier womöglich einen Hinweis darauf geben, wohin Max unterwegs war. Sayid sah sich die fünf mal fünf Zahlen genau an. Max mochte den Überlebensinstinkt eines wilden Tiers besitzen, dafür verfügte er über die Fähigkeit, sich mathematische Formeln und Zahlenkombinationen merken zu können.
Das hatte ihm bei Klassenarbeiten schon oft geholfen. Er nahm an, das war so ähnlich wie bei Musikern, die vom Blatt spielen konnten. Jedenfalls fiel es ihm nicht schwer, sich die Zahlen einzuprägen. Zu viele durften es natürlich auch nicht sein. Aber Max hatte ihn immer dafür bewundert.
Sayid verschloss die Ohren vor den Geräuschen der Nacht und konzentrierte sich ganz auf jede einzelne Reihe und Spalte, bis die Zahlen in seinem Kopf Gestalt annahmen und sich in sein Gedächtnis einbrannten. Dann schrieb er die anderen Zahlen,die Max ihm diktiert hatte, unter die Sohle seines Schuhs. Nicht einmal Sayids Gedächtnis war so gut, dass er sich diese Folge und das
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