Der Code des Luzifer
deponierte Max’ Rucksack auf dem Kofferständer.
Max ging ein Stück weiter in das Zimmer hinein. Es kam ihm vor wie in einer Geschichte aus Tausendundeiner Nacht . Hinter dem Bad befanden sich Jalousien, die ihn vor unliebsamen Blicken schützten, ihm jedoch einen herrlichen Blick über die Dächer der Altstadt erlaubten. Über dem Horizont der Stadt ragten schneebedeckte, von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne golden getönte Berggipfel in den Himmel. Das Atlasgebirge. Wie weit mochte es entfernt sein? Ein paar Autostunden? Irgendwo dahinter lebte Sophies Vater, und dorthin musste er Zabalas Hinweisen zufolge gehen, da war er sich sicher.
Die Hinweise aus dem Château – wie hing das alles zusammen, Sophies Vater und Zabala und die bedrohten Tierarten? Da musste es eine Verbindung geben. Über Marokko wusste Max so gut wie nichts. Aus seiner Kindheit erinnerte er sich an ein paar der berühmtesten Geschichten: Ali Baba und die vierzig Räuber, Aladin und die Wunderlampe, Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Doch im Unterschied dazu befand er sichjetzt ganz konkret in diesem Teil der Welt, den er mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Ohren hören konnte, der Gerüche aufwies, so exotisch, dass man meinte, sie könnten einen mit sich fortreißen wie eine …
Hier gebot Max seinen Gedanken Einhalt, denn ihm war gerade das Wort Lawine eingefallen. Und bei dieser Vorstellung lief es ihm plötzlich eiskalt den Rücken hinunter. Der Hotelangestellte schlug das Bett auf. Er entnahm der Minibar eine Flasche gekühltes Wasser, schraubte sie auf, goss die Hälfte in ein Glas und stellte es auf einen Untersetzer aus perlengroßen, mit feinem Draht zusammengehaltenen Steinen, einer kunstvollen Arbeit hiesiger Handwerker. Dann zeigte er auf die Lampen, klatschte sacht in die Hände und lächelte, als das Licht anging.
Das war ja cool. Das gefiel Max.
Der Mann, erfreut, dass er seinen Gast amüsiert hatte, verbeugte sich und ging hinaus.
Max sah sich im Zimmer um. Das Bett war riesig: Darauf konnte man mit einem halben Dutzend seiner Kumpels eine Mitternachtsfete feiern. Es gab einen CD-Spieler mit einer Musikauswahl, eine Obstschale, ein Telefon, Computeranschlüsse und eine Minibar, gefüllt mit kohlen säurehaltigen Getränken und Fruchtsäften. Hier konnte er gut etwa eine Woche überleben, rechnete er sich aus.
Er griff zu dem Telefon auf dem Nachttisch, nahm den Hörer ab, bekam eine Leitung nach außen und wählte Sayids Handynummer, hörte aber kurz darauf nur die Standardansage der Mailbox. Er hinterließ eine kurze Nachricht, wobei er seinem Freund jedoch vorsichtshalber nicht mitteilte, wo er war. Konnte ja sein, dass Sayid von der Polizei geschnappt worden war. Max legte auf. Sayid müsste jetzt eigentlich schon zu Hause sein und an sein Telefon kommen. Aber Max war realistisch genug zuwissen, dass er weiter nichts ausrichten konnte. Sayid würde den Behörden nicht mehr als das Allernötigste sagen.
Nachdem Max nun alles getan hatte, was er tun musste, konnte er sich entspannen. Er kramte in seinem Rucksack und zog eine kleine Tube Superkleber heraus, unschlagbar, wenn etwas schnell repariert werden musste. Nach einer Viertelstunde konzentrierter Arbeit an seinen abgeschabten und ramponierten Turnschuhen – die ausklappbare Klinge des Korkenziehers aus der Minibar leistete ihm dabei gute Dienste – war er fertig und hatte sogar das kleine Wunder vollbracht, sich nicht die Finger zu verkleben.
Er ließ seine Klamotten fallen, wo er stand, und legte eine CD ein. Machte eine Dose auf, griff sich eine Mango und eine Tüte Chips und ging in das feuchte Bad. Rosenblätter hin oder her, er würde sich erst mal ausgiebig in die Wanne legen. Auf einmal war er sehr müde.
Alles, was er brauchte, in den Händen balancierend, stieg er über den breiten Rand der Badewanne und ließ sich in die samtige Wärme des tiefen Wassers gleiten. Er schälte die Mango und grub die Zähne in das gelbe Fruchtfleisch. Es schmeckte nach Sonne. Der Saft tropfte und spritzte – eine Riesensauerei, aber Max war ja am idealen Platz, um so etwas zu essen. Die Tüte mit den Chips gleich hinterher und mit Cola runtergespült. Nicht gut für die Zähne, aber das war ihm egal. Eine innere Stimme sagte ihm, er habe es verdient, sich mal eine Weile gehenzulassen.
Er klatschte in die Hände.
Das Licht ging aus.
Er klatschte noch einmal.
Die Musik wurde lauter.
Er klatschte zum dritten Mal. Nur so für sich.
Fedir Tischenko
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