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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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größer werdende Wolke aus surrenden Moskitos u m schwirrte sie. Ihre Fahrt schien Tausende dieser Biester a n zulocken.
    »Sie haben wohl nicht zufällig etwas gegen Insekten in der Tasche?«, fragte Tom.
    »Ganz im Gegenteil. Es ist mir gelungen, im Jeep mein Notfalltäschchen zu klauen. Ich hab's mir in die Hose g e schoben.« Sally zog ein kleines Päckchen aus der riesigen Tasche an ihrem Oberschenkel und öffnete einen Reißve r schluss. Sie kramte herum und beförderte diverse Gege n stände zu Tage: ein Fläschchen mit Wasserreinigungstable t ten, einige wasserdicht verpackte Zündholzbriefchen, einen Packen Hundert-Dollar-Scheine, eine Landkarte, einen Schokoriegel, einen Pass und mehrere nutzlose Kreditka r ten.
    »Ich weiß nicht genau, was alles hier drin ist.«
    Tom hielt die Taschenlampe, während sie ihre Habseli g keiten prüfte. Gegen Insekten hatte sie nichts dabei. Mit einem Fluch packte sie alles wieder ein. Während sie damit beschäftigt war, fiel ein Foto aus dem Täschchen heraus. Tom richtete die Lampe darauf. Er sah einen äußerst stattl i chen jungen Mann mit dunklen Brauen und einem geme i ßelten Kinn. Der ernste Ausdruck, der seine dunklen Bra u en furchte, seine straffen Lippen, seine Tweed-Jacke und die Art, wie er den Kopf neigte, vermittelten ihm, dass es sich um einen Mann handelte, der sich wirklich sehr ernst nahm.
    »Wer ist das?«, fragte er.
    »Ach«, sagte Sally, »das ist Professor Clyve.«
    »Das ist Clyve? Wieso ist er noch so jung? Ich hab gedacht, er ist ein schusseliger alter Knabe, der Strickjacken trägt und Pfeife raucht.«
    »Es würde ihn nicht freuen, das zu hören. Er ist der jün g ste Professor in der Geschichte der Fakultät. Er ist mit sec h zehn nach Stanford gegangen und hat mit neunzehn seinen Abschluss und mit zweiundzwanzig seinen Doktor g e macht. Er ist ein echtes Genie.« Sally schob das Foto sorgfä l tig wieder in das Täschchen.
    »Warum tragen Sie ein Foto Ihres Professors mit sich rum?«
    »Na«, sagte Sally, »weil wir verlobt sind. Hab ich Ihnen das nicht erzählt?«
    »Nein.«
    Sally musterte Tom neugierig. »Sie haben doch wohl kein Problem damit, oder?«
    »Natürlich nicht.« Tom spürte, wie er errötete. Er hoffte, dass die Dunkelheit seine Verlegenheit verbarg. Es war ihm jedoch klar, dass Sally ihn in dem matten Licht anschaute.
    »Sie haben so überrascht gewirkt.«
    »Tja, ich war auch überrascht. Immerhin tragen Sie keinen Verlobungsring.«
    »Professor Clyve hält nichts von solchen bürgerlichen Konventionen.«
    »Er hatte nicht mal was dagegen, dass Sie einfach so eben mit mir verreisen?« Tom hielt inne. Ihm wurde bewusst, dass er genau das Falsche gesagt hatte.
    »Glauben Sie etwa, ich müsste mir die Erlaubnis >meines Mannes< holen, bevor ich einen Ausflug mache? Oder wo l len Sie mit dieser Frage etwa andeuten, dass ich sexuell nicht zuverlässig bin?« Sally neigte den Kopf schief und musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. Tom schaute weg. »Es war 'ne dumme Frage.«
    »Das finde ich auch. Ich habe Sie irgendwie für aufgeklärter gehalten.«
    Tom beschäftigte sich mit der Steuerung des Bootes und versuchte, seine Verlegenheit und Verwirrung zu verbe r gen. Der Fluss war still. Die sumpfige Nachthitze strömte an ihnen vorbei. In der Finsternis schrie ein Vogel. In der darauf folgenden Stille hörte er ein Geräusch.
    Tom schaltete sofort den Motor aus. Sein Herz pochte heftig. Da, schon wieder das Geräusch: das Spucken des Sta r ters eines Außenborders, den jemand zog. Stille senkte sich über den Fluss. Ihr Boot fuhr mit abgestelltem Motor.
    »Sie haben irgendwo Benzin aufgetrieben. Sie verfolgen uns.«
    Das Boot glitt mit der Strömung allmählich zurück. Tom nahm einen Pfahl vom Bootsboden und schob ihn ins Wa s ser. Das Boot dümpelte leicht auf der Strömung, doch dann kam es zum Halten. Tom hielt es in der Strömung fest. Sie lauschten. Wieder das Spucken. Dann ein Aufbrüllen. Das Brüllen wurde zu einem leisen Summen. Es gab keinen Zweifel: Es war das Geräusch eines Motorbootes.
    Tom machte sich daran, den Motor wieder anzuwerfen.
    »Nicht«, sagte Sally. »Sie werden es hören.«
    »Mit Staken können wir ihnen nicht entkommen.«
    »Mit dem Motor auch nicht. Mit dem 18-PS-Kahn haben sie uns in fünf Minuten eingeholt.« Sally richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Dschungelwand zu beiden Se i ten. Das Wasser erstreckte sich zwischen die Bäume hinein und schien den Dschungel ersäuft zu haben.

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