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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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sehen. Das Geschrei im anderen Boot verstummte nicht - es war ein vor Entsetzen und Schmerz unmenschlich klingendes Heulen. Das ist Vernon, dachte Tom. Er ist ang e schossen. Der Beschuss wurde fortgeführt, doch nun schi e nen die Kugeln über seinen Kopf zu fegen. Das Boot schrammte einmal, zweimal über den Boden, dann mahlte die Schraube im seichten Gewässer über das Gestein.
    Der Beschuss und das Geschrei erstarben im gleichen Moment. Sie hatten die Deckung des Uferdamms erreicht.
    Don Alfonso rappelte sich auf und warf einen Blick nach hinten. Tom hörte ihn etwas in der Sprache der Tawahka rufen, doch niemand antwortete.
    Er stand vorsichtig auf und zog Sally hoch. Auf ihrer Wange, wo Holzsplitter sie getroffen hatten, waren Blu t flecke zu sehen.
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Sally nickte stumm.
    Das Boot fuhr nun an dem hohen Uferdamm aus Findlingen und Gesträuch entlang, fast unter den herabhängenden Büschen. Tom setzte sich hin, wandte sich dem Einbaum hinter ihm zu und rief nach seinem Bruder: »Vernon! Ve r non!
    Bist du verletzt?« Er sah nur eine blutige Hand, die die Pinne des zweiten Einbaums umklammerte. »Vernon!«
    Vernon erhob sich bebend in der Mitte des Bootes. Er wirkte wie gelähmt.
    »Vernon! Mein Gott, fehlt dir was?«
    »Pingo ist verletzt.«
    »Wie schlimm?«
    »Sehr schlimm.«
    Flussaufwärts wurde das Spucken und Brüllen eines Bootsmotors laut, dann das eines zweiten. In der Ferne hö r te man Schreie.
    Don Alfonso steuerte das Boot so dicht wie möglich an den Uferdamm. Vernon hatte die Pinne seines Bootes e r griffen und folgte ihnen.
    »Wir können ihnen nicht entkommen«, sagte Tom.
    Sally wandte sich an Chori. »Gib mir das Gewehr.«
    Chori schaute sie verständnislos an.
    Sally nahm das Gewehr einfach an sich. Sie prüfte, ob es geladen war, dann riss sie den Verschluss zurück und hoc k te sich ans Heck.
    »Damit können Sie sie nicht aufhalten«, rief Tom. »Die haben Automatikwaffen.«
    »Ich kann ihnen aber Einhalt gebieten, verdammt noch mal.«
    Dann erspähte Tom zwei durch die Flussbiegung kommende Boote - und Soldaten, die ihre Gewehre in Anschlag brachten.
    »Runter!«
    Als eine Salve die über ihnen hängende Vegetation ze r fetzte und Blätter auf sie herabregnen ließ, hörte Tom einen einzelnen Schuss aus Sallys Waffe. Er hatte die ersehnte Wirkung: Die beiden Boote bogen panisch ab, um am Flussufer Deckung zu suchen. Sally ließ sich neben Tom fallen.
    Don Alfonso steuerte das Boot unter den Uferdamm. Die Schraube traf Gestein und heulte auf, als sie aus dem Wa s ser gerissen wurde. Weitere Kugeln pfiffen über sie hinweg, dann ertönte ein dumpfes metallisches Scheppern. Eine Kugel hatte den Motor getroffen. Die Maschine spuckte, dann folgte ein Zischen. Als sie Feuer fing, geriet das Boot mit der Breitseite in die träge Strömung. Das Feuer breitete sich mit unglaublicher Schnelligkeit aus. Die Flammen züngelten von den schmelzenden Gummibenzinleitungen hoch. Der Bug von Pingos und Vernons Boot knallte von hinten gegen den ihren. Der Einbaum verkantete sich, als das brennende Benzin sich auf dem Boden des ersten Bo o tes zu verbreiten begann und rings um die Benzintanks leckte.
    »Raus!«, schrie Tom. »Sie werden gleich in die Luft fli e gen! Schnappt euch, was ihr könnt!«
    Sie sprangen über Bord in das seichte Wasser am Ufer. Vernon und Chori packten Pingo und trugen ihn den Damm hinauf. Wieder knallte über ihren Köpfen eine Salve ins Ufer und spritzte ihnen Erde und Gestein entgegen. Sa l lys Schuss hatte die Soldaten allerdings vorsichtig g e macht, deswegen hielten sie Abstand. Die Flüchtlinge kra b belten den erdigen Hang hinauf, nahmen unter überhä n gendem Dickicht Deckung und rangen nach Atem.
    »Hier können wir nicht bleiben«, sagte Tom.
    An der höchsten Stelle des Uferdamms schaute er nur einmal zurück. Er sah, dass ihre Boote flussabwärts trieben. Die Flammen schlugen hoch in den Himmel. Als ein Trei b stoffbehälter in die Luft flog, gab es eine dumpfe Explos i on, die einen Feuerball aufsteigen ließ. Dahinter steuerten die Boote mit den Soldaten vorsichtig ans Ufer. Sally, noch i m mer mit Choris Gewehr bewaffnet, kniete sich hin und fe u erte einen Schuss durch die sie abschirmende Vegetat i on.
    Sie zogen sich tiefer in den Dschungel zurück, wechselten sich beim Tragen von Pingo ab und bahnten sich einen Weg durch den dichten Urwald. Hinter ihnen hörte Tom G e schrei, dann knallten mehrere willkürliche Schüsse durch

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