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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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den Wald. Darauf ertönte das dumpfe Krachen des näc h sten explodierenden Tanks. Die Angreifer hatten ihre Boote offenbar ans Ufer gesteuert und nahmen nun halbherzig die Verfolgung auf. Doch je tiefer die Flüchtenden in den Wald vordrangen, desto leiser wurde hinter ihnen das sporad i sche Gewehrfeuer, bis es schließlich vollends verstummte.
    Sie hielten auf einer kleinen grasbewachsenen Lichtung an. Tom und Vernon legten Pingo auf den Boden. Tom beugte sich über ihn und tastete verzweifelt seinen Puls. Er fand ihn nicht. Dann begutachtete er die Wunde. Sie sah grauenhaft aus. Ein Hohlspitzgeschoss hatte Pingo in den Rücken - zwischen die Schulterblätter - getroffen. Es war mit Brachialgewalt aus seinem Brustkorb ausgetreten, in dem sich nun ein klaffendes Loch von fast fünfzehn Zent i metern im Durchmesser befand. Die Kugel war genau durchs Herz gegangen. Es war kaum zu glauben, dass er nach einer solchen Verwundung auch nur noch Sekunden gelebt hatte.
    Tom schaute zu Chori auf. Der Gesichtsausdruck des Mannes war absolut kalt. »Tut mir Leid.«
    »Wir haben keine Zeit zu trauern. Wir müssen weiter.« »Sollen wir ihn hier liegen lassen?« »Chori wird bei ihm bleiben.« »Aber die Soldaten kommen bestimmt ...« Don Alfonso fiel ihm ins Wort. »Ja. Und Chori muss tun, was er tun muss.« Er wandte sich an Sally. »Behalten Sie sein G e wehr und die Munition. Wir werden Chori nicht wiedersehen. Gehen wir.«
    »Aber wir können ihn doch nicht hier lassen!«, sagte Tom protestierend.
    Don Alfonso packte Tom an den Schultern. Seine Hände waren überraschend kräftig, wie Klammern aus Stahl. Er sprach leise, aber eindringlich: »Chori hat mit den Mördern seines Bruders noch eine Rechnung zu begleichen.«
    »Ohne Schießeisen?«, fragte Sally, als Chori eine zerbeulte Munitionsschachtel aus seinem Beutel zog und ihr reichte.
    »Lautlose Pfeile sind im Dschungel wirkungsvoller. Er wird so viele dieser Leute töten, dass er in Ehren sterben kann. So ist unsere Tradition. Mischt euch da nicht ein.« Don Alfonso drehte sich um, ohne einen Blick zurückz u werfen, dann drosch er mit seiner Machete auf eine Wand aus Pflanzenwerk ein und sprang durch die Öffnung. Tom, Sally und Vernon folgten ihm. Sie hatten Mühe, mit dem Greis Schritt zu halten, der sich mit der Schnelligkeit und Lautlosigkeit einer Fledermaus bewegte. Tom hatte keine Ahnung, wohin sie gingen. Sie marschierten stundenlang durch Schluchten, wateten durch reißende Bäche und mussten sich manchmal den Weg durch dichte Bambus- und Farnhecken schlagen. Beißlustige Ameisen regneten auf sie herab und krabbelten ihnen über die Hemden. Don Alfonso spießte mit seiner Machete mehrmals kleine Schlangen auf und schleuderte sie beiseite. Dann regnete es kurz. Sie wurden klitschnass. Als anschließend die Sonne herauskam, dampften sie. Insektenschwärme verfolgten sie und stachen boshaft zu. Niemand sprach ein Wort. Ni e mand konnte sprechen, denn sie mussten ja irgendwie auf den Beinen bleiben.
    Stunden später, als das Licht in den Baumwipfeln allmählich erstarb, hielt Don Alfonso an. Er setzte sich wortlos auf den Stamm eines umgestürzten Baumes, zog seine Pfeife hervor und zündete sie an. Tom betrachtete das auffla c kernde Zündholz. Er fragte sich, wie viele sie wohl noch hatten. Als die Boote in Flammen aufgegangen waren, ha t ten sie fast alles verloren.
    »Was jetzt?«, fragte Vernon.
    »Wir schlagen ein Lager auf«, sagte Don Alfonso. Er schwenkte seine Machete. »Entzündet ein Feuer. Dort.«
    Vernon machte sich an die Arbeit. Tom half ihm dabei.
    Don Alfonso deutete mit der Machete auf Sally. »Sie g e hen jagen. Sie mögen vielleicht eine Frau sein, aber Sie schießen wie ein Mann und haben auch den Mut eines Mannes.«
    Tom betrachtete Sally. Ihr Gesicht war schmutzig. Ihre langen blonden Haare waren zerzaust, das Gewehr hing über ihrer Schulter. Ihr Gesicht zeigte ihm all das, was er persönlich empfand: den Schreck und die Überraschung des Angriffs, das Entsetzen über Pingos Tod, den Frust w e gen des Verlusts ihrer Ausrüstung - und die Entschlosse n heit zu überleben. Sally nickte und machte sich auf in den Wald.
    Don Alfonso schaute Tom an. »Wir beide bauen einen Unterstand.«
    Eine Stunde später war es dunkel. Sie saßen um das Feuer herum und aßen den Eintopf, den sie aus Sallys Beute, e i nem großen Nagetier, zubereitet hatten. In der Nähe stand eine kleine Schilfhütte. Don Alfonso saß vor einem Stapel Palmwedel, riss sie in

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