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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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Männern im besten
Alter stand nur der weiße Tisch des kleinen Zimmers, auf den Haderlein nun
seine Arme legte. Er schaltete noch schnell das Diktiergerät ein, bevor er sich
endlich dem Baron zuwandte. »Also, Herr Baron, dann erzählen Sie mir doch einmal
alles, was Sie über diesen Hans Kiesler wissen.«
    Der Baron
nahm die Tasse mit dem Kaffee an sich und überlegte kurz, während er seine
Hände an dem Heißgetränk wärmte. »Tja, das ist eine lange Geschichte, Herr
Haderlein«, sagte er schließlich und nahm einen Schluck vom dampfenden Gebräu
Honeypennys, bevor er die Tasse vor sich auf den Tisch stellte und sich im
Stuhl zurücklehnte.
    »Den
ersten Kontakt hatten wir eigentlich im September im letzten Jahr«, begann er
seine Ausführungen. »Hans Kiesler kam an der Baustelle der Burg vorbei und
stellte sich als wandernder Zimmermannsgeselle vor. Er habe von der Baustelle
gehört und wolle arbeiten.«
    »Haben
Sie sich seine Papiere zeigen lassen?«, fragte Haderlein.
    »Das habe
ich, aber behalten habe ich sie nicht«, erwiderte Rotenhenne bedauernd. »Ich
habe ihn ins Büro der Bauleitung geschickt, damit er sich dort registrieren
lässt. Mit Ausweis, Gesellenbrief, Wohnort und so weiter.«
    »Und
gibt’s diese Informationen noch bei der Bauleitung?«, erkundigte sich Haderlein
interessiert. Immerhin könnten die ja ein Anhaltspunkt sein.
    »Natürlich,
das ist alles archiviert«, bekräftigte Baron von Rotenhenne. »Schauen Sie, Herr
Kommissar. Auf dieser Baustelle wimmelt es nur so von freiwilligen Helfern, das
ist ja gerade das Tolle an der Sache. Jeder, der dort arbeiten will, wird auch
registriert. Alle bekommen ihre vierhundertvierzig Euro im Monat und werden
komplett versichert. Arbeitslosen-, Kranken-, Unfallversicherung. Dabei ist es
völlig egal, was der- oder diejenige tut oder kann. Auf der Baustelle sind alle
gleich. Im Herbst konnten wir dort auch wirklich jede helfende Hand gebrauchen.
Da überprüfe ich doch nicht das polizeiliche Führungszeugnis, sondern bin froh,
wenn einer mit anpacken will.« Wieder nahm der Baron einen Schluck von seinem
Kaffee.
    »Und was
hat der Kiesler so gemacht?«
    »Also,
eigentlich alles, der war ein wahres Multitalent. Was auch immer man ihm
aufgetragen hat, er hat alles zu meiner Zufriedenheit erfüllt. Er war fleißig
und kräftig wie ein Bär. Hat sich vor nichts gedrückt und hatte auch nichts
gegen Überstunden. Nicht selten haben wir ihm etwas extra zugesteckt, weil er
noch gearbeitet hat, wenn alle anderen schon zu Hause waren. Der Kerl hat ja
noch gezimmert, wenn’s richtig gefroren hat. Als ob ihm die Kälte gefallen
hätte. Aber er hat ja auch bei minus zwanzig Grad in seinem Laster geschlafen.
Auf einer aufblasbaren Outdoormatte und in seinem Schlafsack. Wenn man Hans
Kiesler im Winter früh abgeholt hat, saß er nicht selten draußen auf der
Pritsche seines Lasters und hat sich mit dem Gaskocher Frühstück gemacht. Das
war ein richtig Eisenbereifter, ein ganz harter Hund.«
    »Hm.«
Haderlein hatte sich die Geschichte wortlos angehört und sich den Mann
vorzustellen versucht. Der schien ziemlich heftig drauf gewesen zu sein.
    »Der Mann
lebte also fast wie die Soldaten seinerzeit im Russlandfeldzug an der Front?«,
fragte Haderlein nachdenklich.
    Der Baron
lachte. »Ja, da könnten Sie recht haben. Ein Jahrhundert früher wäre der ein
begeisterter Landser geworden. Aber diese Zeiten sind ja vorbei, Gott sei
Dank.«
    »Und wie
war sein Verhalten den anderen Arbeitern gegenüber? Gab es da irgendwelche
Probleme?«, fragte Haderlein in der Hoffnung, doch noch ein Haar in der
charakterlichen Suppe von Kiesler zu finden.
    »Nein, überhaupt
nicht. Im Gegenteil. Wenn’s Probleme im zwischenmenschlichen Bereich gab, ging
Hans als Erster dazwischen, um zu vermitteln. Die wollten ihn sogar zum
Arbeitersprecher wählen, aber Hans lehnte das ab. Es lag ihm überhaupt nicht,
im Mittelpunkt zu stehen.«
    »Und er
hat seit September bis jetzt ununterbrochen auf der Baustelle gearbeitet?«,
fragte Haderlein ungläubig.
    »Nein,
natürlich nicht«, entgegnete der Baron. »Einen Tag vor Heiligabend gab es einen
Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Oswald für alle Arbeiter mit
anschließendem Weihnachtsessen auf der Burgbaustelle. Die Kirche wurde in ihren
Anfängen übrigens von einem Urahn meines Geschlechtes, Anton von Rotenhenne,
erbaut.« Achtungheischend blickte er zu Haderlein hinüber, der ihm aber nicht
den Gefallen tat, beeindruckt zu sein.
    »Nach

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