Der Colibri-Effekt
Müdigkeit, und seine Augenlider schlossen sich gnädig.
Als
Haderlein in der Dienststelle eintraf, war es bereits kurz vor Mittag. Er hatte
jetzt über vierundzwanzig Stunden voller Tod, Stress und Irrsinn hinter
sich – und das mit gerade einmal zwei Stunden Schlaf. Ein Erfolgserlebnis
wäre jetzt echt nicht schlecht, ganz egal, von welcher Sorte, da war er gerade
nicht sonderlich wählerisch.
Er hatte
die Bürotür noch nicht richtig geschlossen, da kam auch schon sein Chef Robert
Suckfüll auf ihn zu, der den Flugplatz mit Fiesder früher als Haderlein
verlassen hatte. Sein Blick sprach eine eindeutige Sprache. Er erwartete
Ergebnisse von seinem Hauptkommissar, aber bis jetzt türmten sich in diesem
Mordfall nur Tote, Rätsel und Leerstellen ungeordnet übereinander. Fidibus
hasste Unordnung in jeder Lebenslage, in beruflichen Dingen aber im Besonderen,
und so viel Unordnung in einem Fall hatte es noch nie gegeben.
»Der
liebe Fiesder sitzt jetzt in seiner Zelle«, sagte er. »Allerdings wird das ein
Nachspiel für uns haben, Haderlein. Die U-Haft war ein sehr gewagtes Manöver.
Ich habe dem Staatsanwalt eine äußerst exotische Begründung geliefert, um den
Schwarzhutträger bis morgen hierbehalten zu können. Das kann aber so richtig
ins, also, das Auge … äh, einen Moment.« Er überlegte kurz, verhedderte
sich gedanklich aber nur umso stärker. »Ich wollte damit nur sagen, wir sollten
die Schulter dieses Fiesder nicht auf die, äh, leichten Schuhe nehmen.« Das war
natürlich totaler Quatsch, aber zu Suckfülls Glück hörte Haderlein nicht mehr
richtig hin, sondern war bereits zu seinem Schreibtisch unterwegs. Fidibus
blieb nichts übrig, als ihm zu folgen.
Der
Kriminalhauptkommissar winkte Honeypenny und Huppendorfer dazu. Fidibus stellte
sich etwas abseits ans Fenster und war innerlich noch mit dem Sortieren seiner
letzten Sinnsprüche beschäftigt beziehungsweise der semantischen Wracks
derselben. Die Stimmung war merklich gedrückt, was aber weniger mit dem
Mordfall als solchem als vielmehr mit dem unerklärlichen Verschwinden
Lagerfelds zusammenhing. Natürlich traute niemand Bernd Schmitt wirklich eine
kriminelle Verwicklung zu, aber nichts Genaues wusste man eben nicht. Und alle
von ihnen hatten in diesem Beruf schon Pferde kotzen sehen.
Wie bei
allen anderen Kollegen überwog auch bei Haderlein die Sorge. Und die beste
Möglichkeit, diese Sorge zu vertreiben, war, diesen unheimlichen Fall
aufzuklären und Lagerfeld zu finden. Er änderte seinen zuvor gefassten Plan,
alle würden jetzt mithelfen müssen.
»Also,
Leute, dann sagt jetzt mal jeder, was er hat. Ich will alles jetzt und hier auf
dem Tisch haben – jede auch noch so kleine Kleinigkeit. Honeypenny,
schreib doch bitte alles mit, ich habe im Moment wirklich nicht den Nerv
dafür.«
Marina
Hoffmann hatte sich als Bürochefin in weiser Voraussicht bereits ihren großen
Block unter den Arm geklemmt und zückte nun ihren Kugelschreiber in Erwartung
dessen, was da kommen sollte. Das Erste, was kam, war ein kleines Ferkel namens
Riemenschneider. Es trabte einfach durch die Beine der Umstehenden und unter
dem Tisch hindurch zu ihrem Kriminalhauptkommissar. Müde lächelnd wollte er ihr
den kleinen rosa Kopf streicheln, doch Riemenschneider begann sofort die Hand
ihres geliebten Herrchens zu lecken. Sie spürte, dass er gerade ein wenig
Zuspruch nötig hatte, versuchte ihm den auf ihre schweinische Art zu vermitteln
und war damit tatsächlich erfolgreich. Haderlein hob sie gerührt auf seinen
Schoß und verwöhnte sie mit den kleinen Nüssen, die er immer dabeihatte.
Bei
Fidibus löste das Verhalten nur einen missbilligenden Blick aus, und er
murmelte irgendetwas Leises und Unverständliches, von wegen, man müsse das
Schwein doch mal im Dorf lassen oder so ähnlich, aber niemand hörte ihm zu. Vor
allem, da Huppendorfer nun mitzuteilen begann, was er herausgefunden hatte.
»Okay,
wenn ich dann also mal um Aufmerksamkeit bitten darf? Ich habe tatsächlich
Informationen darüber, wohin dieser Hubschrauber geflogen ist.« Alle Augen
richteten sich gespannt auf ihn, und Haderlein stellte die Riemenschneiderin
flugs wieder zurück auf den Büroboden der Tatsachen.
»Tja«,
sagte Huppendorfer schon fast stolz, »wir Deutschen sind ein gründliches Volk,
sodass auch unser Luftraum rund um die Uhr überwacht wird. Da fliegt ein
Hubschrauber nicht einfach so unerkannt durch. Wir reden übrigens von einem
Eurocopter EC -135, einem
Weitere Kostenlose Bücher