Der Consul
Zimmer. Womöglich erschien gleich Olendorff, schließlich handelte es sich um sein Arbeitszimmer.
Dann hörte ich wieder die Frauenstimme: »Eugen hat nichts gehört. Er war die ganze Zeit im Haus«, sagte sie. »Und der Doktor sagt, wenn man ein Schloss nicht ganz aufschließt, nur so weit, dass die Tür aufgeht, kann es passieren, dass eine Tür sich selbst verschließt. Zum Beispiel, wenn man sie zuknallt. Das Schloss sei halt unter Spannung.«
»Ist gut«, sagte Koletzke. »Ich repariere es gleich. Gehen Sie schon mal runter.«
Wieder Stille.
Dann hörte ich einen leisen Pfiff. Die Balkontür öffnete sich. Ich stand leise auf und richtete die Luger auf die Tür. Koletzke trat heraus und fuhr zusammen, als er mich sah.
»Ein Wort, und du bist tot«, zischte ich.
In seinem Gesicht zeigte sich Erstaunen.
»Auf die Knie!«
Das Erstaunen wuchs.
Langsam sank er auf die Knie.
Ich trat hinter ihn und schlug kräftig zu. Der Griff der Luger traf seinen Hinterkopf. Koletzke fiel nach vorne. Ich trat ans Balkongeländer. Wenn ich gut landete, würde ich ohne Verletzung hinunterkommen. Falls mich jemand sah, musste ich auf die Überraschung setzen. Ich steckte die Pistole in den Gürtel, warf das Album hinunter auf die Wiese und sprang hinterher. Ich landete vor dem Fenster des Raums, in dem ich mit Olendorff gesprochen hatte. Das Fenster spiegelte, ich konnte nicht erkennen, ob mich jemand sah. Ich schnappte das Album und rannte los. Vorbei am Hauseingang zur Garage. Ich öffnete die Hintertür, schaltete das Licht ein und drehte die Verriegelung der Torflügel auf. Ich schlüpfte hinaus und drückte das Tor von außen zu. Es ließ sich nicht ganz schließen. Ich rannte zum Laubfrosch, warf das Album auf die Rückbank und wendete. Nicht zu schnell, sonst fällst du auf! Ich bog ab ins Grunewaldviertel und nahm dann den Hohenzollerndamm Richtung Stadtmitte. Immer wieder schaute ich in den Rückspiegel, nichts Auffälliges. Als ich Prenzlauer Berg erreicht hatte, fiel die Anspannung langsam ab von mir.
*
Erna saß in der Küche und rauchte. Auf dem Tisch lag eine Zeitung. Sie sah mich und lachte. »Siehst aus, als hättest du Ostereier gesucht.«
»Gut geraten«, sagte ich.
Neugierig starrte sie auf das Album in meiner Hand.
»Familienbesuch?«
»So ähnlich«, sagte ich. Wir tranken schweigend Kaffee.
»Wäschst du meine Klamotten?«
»Nicht umsonst.«
»Wir werden uns einigen«, sagte ich.
»Gerne«, erwiderte sie.
»Dann will ich mal«, sagte ich und stand auf. Ich ging in meine Kammer und zog die verdreckte Kleidung aus. Das Notizbuch legte ich zusammen mit dem Fotoalbum auf den Stuhl. Bis auf die Unterwäsche nackt, brachte ich die verschmutzte Kleidung in die Küche. Erna grinste. Zurück in der Kammer, warf ich mich aufs Bett und blätterte im Notizbuch. Es wimmelte von Eintragungen, manche waren datiert. Das meiste konnte ich allerdings nicht lesen, die Zeilen erschienen mir wie eine Ansammlung kryptischer Zeichen. Da ich aber manche Wörter entziffern konnte, schloss ich aus, dass Olendorff eine Geheimschrift verwendete. Seite um Seite schlug ich um, erst oberflächlich, ich hoffte, gleich etwas zu finden, das mich weiterbrachte. Als das nichts half, nahm ich mir jede Seite gründlich vor. Oft war von Kons , die Rede. Ich überlegte, ob es für Konsultation stand. Oder für Konsul. Und wenn ja, was für ein Konsul es sein konnte. Der Vertreter eines anderen Staats? Welchen Staats? Ein anderer Eintrag lautete: Alexander/Dirk/Uck. Was soll das heißen? Alexander war wohl der Mann, der mich niedergeschlagen hatte im Keller des Motorboot-Klubs. Eine Panikreaktion. Aber was bedeutete Dirk/Uck?
Ich legte das Notizbuch zur Seite und betrachtete die Fotos im Album. Ein Foto zeigte einen jungen Olendorff mit zwei
Mädchen und zwei Jungen sowie einer Frau und einem Mann. Es waren wohl Eltern und Geschwister. Ein anderes zeigte Olendorff als Marinekadett. Dann war er Leutnant zur See auf dem Linienschiff Rheinland. Auch nach dem Krieg zeigte er sich zunächst in Uniformen. Ich kannte diese Uniformen nicht. Auf den Kragenecken waren zwei liegende Eichenzweige und ein silberner Stern angebracht, am linken Oberarm ein silbernes Wikingerschiff. Auf späteren Bildern sah man dazu Hakenkreuze. Diese Truppen verfügten über Maschinengewehre und gepanzerte Wagen. Hier und da zeigte sich die Reichskriegsflagge. Auf einigen Fotos standen Soldaten im Halbkreis oder hatten sich in zwei Reihen gruppiert, in der
Weitere Kostenlose Bücher