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Der Consul

Der Consul

Titel: Der Consul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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nicht einfach. Ihm passte es natürlich nicht, dass da jemand aus dem fernen Berlin kam und ihm seinen wichtigsten Fall wegnahm. Ich weiß nicht, was Hitler ihm bedeutete, aber er war der Führer der Partei, die Thüringen regierte. Grüntner war gewiss Nazi, sonst hätte Sauckel, Ministerpräsident und Innenminister in einer Person, ihn nicht mit dem Fall beauftragt. Aber vielleicht war Grüntner nur Karrierenazi, setzte auf die Braunen, nachdem er zuvor sein Glück woanders versucht hatte, möglicherweise sogar bei den Sozis. Ich kannte einige Kollegen, die seit den Septemberwahlen ’30 so taten, als wären sie ’23 mit Ludendorff und Hitler auf die Münchener Feldherrenhalle marschiert. Seit der Nazischlappe am 6. November überlegten sie wahrscheinlich, in welcher Einheit der Roten Marinedivision sie für Luxemburg und Liebknecht gekämpft hatten. Ich warf es ihnen nicht vor. Ich war auch kein Held, und ich hatte keine Familie mehr zu ernähren.
    Als ich mich in Grüntners Dienstzimmer auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch setzte, zog der Schmerz vom Fuß bis in den Oberschenkel. Sofort kehrte die Angst zurück vor einer Blutvergiftung oder einer anderen gefährlichen Weiterung. Ich wackelte mit den Zehen im Schuh, es tat nicht weh. Ich stand auf und ließ mir von Grüntner den Weg zum Klo erklären.
    Bevor ich den Raum verließ, sagte ich: »Bitte bringen Sie Schmoll und Leutbold allein in zwei getrennte Räume. Sie dürfen nicht miteinander reden, und ich will gleich mit ihnen sprechen. Es dauert nur ein paar Minuten, und dann halten wir Kriegsrat. Einverstanden?« Ich mühte mich, es freundlich zu sagen.
    Grüntner schaute ratlos, dann nickte er und griff zum Telefon.
    Ich setzte mich auf den Klodeckel, zog Schuh und Strumpf aus und versuchte, die Fußsohle zu betrachten, konnte meinen Fuß aber nicht hoch genug ziehen. Ich tastete mit den Händen, fand keine Schwellung. Da fiel mir ein, wie Grüntner bei dieser Übung aussehen würde, ich musste lachen. Der würde sein kurzes Bein nicht am Bauch vorbei bringen und von der Schüssel plumpsen. Ich sah das feiste Gesicht vor mir. Der Mann war mir widerlich, aber ich wusste, ich durfte ihn keine Sekunde unterschätzen. Er war ein gerissener Kriminaler, ich kannte diesen Typ. Wäre ich Mörder, ich würde nicht von Grüntner gejagt werden wollen.
    Als ich ins Dienstzimmer zurückkehrte, deutete Grüntner auf die Tür zum Nebenraum. »Die Dame und der Herr warten bereits«, sagte er in einem Ton, der in einem Friseursalon angemessen sein mochte.
    Leutbold schaute mich erstaunt an. Er saß auf einem Stuhl, in der Ecke stand ein Schupo und bewachte ihn. Ich schickte den Polizisten in den Flur.
    »Ich dachte, ich kann nach Hause gehen«, sagte Leutbold. »Hier bin ich aber nicht zu Hause.« Er wirkte abgebrüht, als würde es ihn nicht enttäuschen, dass er nicht zu Hause war, sondern in Polizeihaft. Vielleicht erwartete er nichts anderes von mir als Wortbruch.
    »Stehen Sie mal auf«, sagte ich.
    Er schaute mich an und blieb sitzen.
    »Aufstehen!« sagte ich streng.
    Er erhob sich, ein wenig zusammengekrümmt, als erwartete er einen Schlag.
    Ich ging auf ihn zu, zog mit dem Zeigefinger seinen Hemdkragen vom Hals und betrachtete ihn. Dann roch ich an seinen Achseln.
    Er schaute mich an, als wäre ich verrückt.
    »Ziehen Sie die Schuhe aus«, sagte ich.
    Ein Blick, dann tat er es.
    »Geben Sie mir Ihre Socken.«
    Er schüttelte den Kopf und gab mir die Socken.
    Ich roch an den Socken, dann reichte ich sie ihm zurück.
    »Ziehen Sie die Hose aus.« Ich hielt ihm meine Hand hin. Er gab mir die Hose. Ich betrachtete sie genau, dann gab ich sie ihm zurück. Er zog sie an.
    »Drehen Sie sich um.«
    Ich betrachtete seine Haare.
    »Wann haben Sie sich das letzte Mal gewaschen?«
    Er überlegte. »Gestern.« »Morgens oder abends?«
    »Morgens.«
    »Haben Sie seitdem die Kleidung gewechselt.«
    »Nein, warum denn?«
    »Ich frage, Sie antworten. Die Polizei hat Ihnen Ihre Kleidung nicht abgenommen?«
    »Nein.«
    Ich öffnete die Tür zum Flur und rief den Beamten. »Abführen.«
    Zurück in Grüntners Dienstzimmer, fragte ich nach Sofia Schmoll.
    Grüntner wies auf die gegenüberliegende Tür. Ich spürte eine Spannung im Bauch.
    Sie erwartete mich mit großen Augen, dann wandte sie das Gesicht ab. Ich schickte den Bewacher raus und schloss die Tür hinter mir.
    »Sie denken, ich habe Sie angelogen«, sagte ich.
    Sie nickte.
    »Dazu haben Sie einigen Grund. Vielleicht kann

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